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@ schrieb am 26.8. 2010 um 07:24:07 Uhr über

bagger

Tricksen und täuschen
Die Proteste gegen das Bahnprojekt in Stuttgart schwellen an, doch die Baggerwerden nicht aufzuhalten sein. Obwohl Gutachten belegen: Der Umbau ist überflüssig.


Jeden Montag, aber manchmal auch wie hier samstags demonstrieren Tausende Stuttgarter gegen das Milliardenprojekt der Bahn.
Foto: dpa Jeden Montag, aber manchmal auch wie hier samstags demonstrieren Tausende Stuttgarter gegen das Milliardenprojekt der Bahn.
Foto: dpa
Die Bagger werden rollen. Unumkehrbar. Verträge müssen eingehalten werden. Das Projekt ist sinnvoll, lautet das Mantra der Befürworter von Stuttgart 21, es wurde von Bund, Land und Stadt demokratisch beschlossen, es gibt keine Alternative, kein Zurück.

Es ist eine mächtige Allianz. Bahnchef Rüdiger Grube, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), Baden-Württembergs Regierungschef Stefan Mappus, Stuttgarts OB Wolfgang Schuster (beide CDU): Sie alle wollen das zweitgrößte Bauprojekt Europas immer noch durchsetzentrotz Kostenexplosion, Bau- und Betriebsrisiken.

Doch inzwischen ist unstrittig: Als Bundes- und Landtag, Stadt Stuttgart und Bahn-Aufsichtsräte S21 einst abnickten, waren ihnen viele Risiken nicht bekannt. Das Projekt wurde gnadenlos schöngerechnet, kritische Stimmen und unliebsame Fakten rigoros unterdrückt. Zum Beispiel der Bedarf: Ohne S21 drohe Stuttgart der Verkehrskollaps, die Stadt verliere den Anschluss ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz, heißt es bis heute.

Das Projekt

Zu Stuttgart 21 gehören der Teilabriss des denkmalgeschützen Kopfbahnhofs und der Bau einer unterirdischen Durchgangsstation. Der Flughafen und die geplante ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sollen durch 57 Kilometer Neubaustrecke besser angebunden werden, davon 33 Kilometer teure und riskante Tunnelbauten im Stadtgebiet.


Ohne die ICE-Neubaustrecke nach UIm wäre das Projekt sinnlos. Die 60 Kilometer lange Strecke durch die Schwäbische Alb birgt hohe Baurisiken. wüp

In Wirklichkeit ist Stuttgart einer der leistungsfähigsten deutschen Bahnknoten. Engpässe sind bis 2025 kaum zu befürchten. Das belegt unter anderem eine Studie der Gutachter K+P für die IHK Stuttgart. Das Netz am Neckar kann demnach das erhoffte Wachstum im Schienenverkehr ohne S 21 locker verkraften. Andernorts, etwa im Rheintal, drohen dagegen schlimme Engpässe im Güterverkehr. Genau dort aber fehlt wegen S 21 künftig das Geld für den Ausbau.

Auch ein neues Gutachten der Beratungsfirma KCW für das Umweltbundesamt (UBA) sieht keinen Bedarf für das Megaprojekt. Autor Michael Holzhey: „Sämtliche Analysen und Prognosen der DB AG decken sich mit der Einschätzung, wonach die tatsächlichen Engpässe des deutschen Netzes nicht im Stuttgarter Bahnknoten liegen.“ Und das bedeutet: Die Steuermilliarden wären besser anderswo angelegt.

Auch über die wahren Kosten werden Bürger und Parlament getäuscht. Als S21 beschlossen wurde, sollte das Projekt drei Milliarden Euro kosten, plus zwei Milliarden Euro für die dazugehörige ICE-Neubaustrecke nach Ulm. Bahnchef Grube ließ nachrechnennun liegen die Gesamtkosten offiziell schon bei sieben Milliarden. Immer noch viel zu niedrig, meinen Experten. Mehr als 60 Kilometer Tunnel müssen durch schwierigstes Karstgestein im Stadtgebiet und der Schwäbischen Alb gebohrt, 55 Brücken müssen gebaut werden. Die neue UBA-Studie rechnet mit Gesamtkosten von mindestens neun, eher elf Milliarden Eurodas Doppelte des Betrags, der einst Basis der politischen Entscheidung war.

S21 ist ein Paradebeispiel dafür, wie Verkehrsprojekte systematisch aufgehübscht werden, um sie politisch durchzusetzen. Bei Kenntnis der wahren Kosten wären die Parlamente wohl zur gleichen Erkenntnis gekommen wie die neue UBA-Studie: „Dieser sehr hohe Aufwand steht u.E. in keinem Verhältnis zum geringen verkehrlichen Nutzen.“

Wer aber trägt die Verantwortung dafür, dass Kosten und Risiken des Projekts den Bürgern und ihren Vertretern so lange vorenthalten wurden? Nur eine kleine Gruppe von Entscheidern bei Bund, Land und Bahn kennt alle heiklen Details. Alle Fäden laufen beim Staatskonzern zusammen. Die DB soll S21 bauen und hat schon kräftig davon profitiert.

Bereits 2002 kassierte der Konzern von der Stadt 459 Millionen Euro für die Grundstücke, die durch die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs und der Gleise unter die Erde frei werden sollen. Wäre S 21 geplatzt, hätte die Bahn das Geld zurückzahlen müssen.

Spätzle-Connection“

Entsprechend gefärbt ist die Informationspolitik der Bahn: Einseitig und platt wirbt sie für S21. Als Projektsprecher vor Ort ließ sich ausgerechnet der Vizepräsident des Stuttgarter Landtags, Wolfgang Drexler (SPD), instrumentalisieren – eine Verflechtung von Politik und Wirtschaft mit Geschmäckle, eineSpätzle-Connection“, wie Kritiker sagen.

Ein geheimes internes DB-Papier für Konzernchef Grube vom Dezember 2009, das der FR vorliegt, beweist, dass die Alternative zu S21, die Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofs, mit 340 Millionen Euro bis 2020 einen Bruchteil der S-21-Summen kosten würde. Auch der Ausstieg aus S21 wäre viel günstiger als behauptet. Die bisher entstandenen Kosten bei der DB beziffert das Geheimpapier auf gerade mal 73 Millionen Euro. Der Bahn würden aber die versprochenen Steuermilliarden entgehen. Und so winkte Bahnchef Grube S21 trotz Bauchschmerzen durch. Denn die meisten Risiken tragen am Ende die Steuerzahler.

Die zehn größten Fehlplanungen der Bahn Bildergalerie ( 13 Bilder )DurchklickenStuttgart 21: Die Kosten für den Tunnelbahnhof und die 60 Kilometer Neubau- und Tunnelstrecken im Stadtgebiet mussten mehrfach auf inzwischen 4,1 Milliarden Euro nach oben korrigiert werden. Der Rahmenvertrag von 1995 veranschlagt Ausgaben von knapp 2,5 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof befürchtet, dass S 21 mindestens 5,3 Milliarden Euro kostet.
Foto: Planungsbüro
ICE-Strecke Wendlingen-Ulm: Die neue ICE-Trasse soll gleichzeitig mit S 21 fertig werden, nur zusammen ergeben die Projekte Sinn. Der Preisstand von 2004 liegt bei 2,0 Milliarden Euro. Derzeit wird aber neu gerechnet.
Foto: FR-Infografik
Der Verkehrswissenschaftler Karl-Dieter Bodack erwartet, dass der Bau wegen rund 50 Prozent Tunnelanteil und schwierigen Baugrunds auf der Schwäbischen Alb mit 5,5 Milliarden Euro fast dreimal so teuer wird.
Foto: Bahn
Karlsruhe-Basel: Der 190 Kilometer lange viergleisige Ausbaus im Rheintal wurde vor 23 Jahren begonnen und ist erst zu einem Drittel erledigt. Die Gesamtkosten sind allein seit 2003 von 3,4 auf mehr als 5,7 Milliarden Euro gestiegen. Noch 4,0 Milliarden sind zu finanzieren. Fertigstellung: nicht in Sicht.
Foto: Bahn
Nürnberg-Erfurt: 1997 wurde mit dem Trassenbau begonnen. Die Kosten sind auch wegen komplizierter Tunnel völlig aus dem Ruder gelaufen. Noch 2003 wurden 3,3 Milliarden Euro veranschlagt, inzwischen sind es fast 5,2 Milliarden. Mehr als 4,0 Milliarden sind noch zu finanzieren. Fertigstellung: frühestens 2017, vermutlich später. Das Bild von 2002 zeigt die fast fertiggestellte ICE-Brücke bei Ichtershausen auf der Strecke von Erfurt nach Nürnberg.
Foto: Archivbild: dpa
Köln-Frankfurt: Die 177 Kilometer lange ICE-Trasse wurde 2005 fertig und kostete mit 6,0 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel wie geplant.
Foto: dpa
Nürnberg-München: In den 16 Jahren Bauzeit explodierten die Gesamtkosten von 1,5 auf 3,6 Milliarden Euro. Dafür wurden gerade mal 77 Kilometer von Nürnberg nach Ingolstadt neu gebaut und die bestehende Verbindung Ingolstadt-München ausgebaut. Bild: Bauarbeiten an der Neubaustrecke im Altmühltal auf der Höhe Kipfenberg im August 2002.
Foto: dpa
Knoten Berlin: Die Modernisierung des Bahnnetzes in der einst geteilten Hauptstadt verschlingt Unsummen. Die Gesamtkosten werden inzwischen auf 6,4 Milliarden Euro veranschlagt. Der neue Hauptbahnhof kostete 1,2 Milliarden Euro - 700 Millionen mehr als geplant. Das Bild zeigt die Grundsteinlegung 1998 mit den Politikern dieser Zeit: Bürgermeister Eberhard Diepgen, Verkehrsminister Matthias Wissmann, Bahnchef Johannes Ludewig und Thyssen-Chef Ekkehard Schulz (v.l.).
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Citytunnel Leipzig: Das S-Bahnprojekt mit seinen beiden gerade mal 1400 Meter langen Tunnelröhren zum Hauptbahnhof wird mindestens eine Milliarde Euro kosten. Geplant waren 572 Millionen, inzwischen werden die Kalkulationen fast im Monatsrhythmus nach oben korrigiert. Fertigstellung: frühestens 2013 - vier Jahre später als geplant.
Foto: ddp
Rhein-Ruhr-Express: Der RRX ist der Ersatz für die gescheiterten Transrapid-Pläne , er soll den Ballungsraum Düsseldorf-Duisburg besser auf der Schiene verbinden. Doch die Kosten explodieren schon vor Baustart, von 1,4 auf 2,0 Milliarden Euro. In manchen Papieren ist bereits von 2,7 Milliarden die Rede - weshalb die Bahn das Projekt intern als »bis 2025 nicht realisierbar« einstuft. Das Bild zeigt einen S-Bahn-Zug mit dem Außendesign des geplanten Rhein-Ruhr-Expresses.
Foto: dpa
Stuttgart-Mannheim: Kostenexplosionen gab es schon bei der Bundesbahn: Die ICE-Trasse Stuttgart-Mannheim wurde 1975 für 2,5 Milliarden DM genehmigt, kostete am Ende aber 4,3 Milliarden DM (rund 2,2 Milliarden Euro). Die ICE-Trasse Hannover-Würzburg schlug mit fast 12,0 statt genehmigter 10,4 Milliarden DM zu Buche.
Foto: dpa
Das Planungs-Chaos geht weiter: Ein zunächst geheimes Papier der Deutschen Bahn listet Neu- und Ausbauprojekte auf, die wegen Geldmangels möglicherweise nicht umgesetzt werden können. Die Grafik zeigt, welche Strecken betroffen sind.
Foto: FR-Infografik
Die zehn größten Fehlplanungen der Bahn[ Schließen ] « ZURÜCK 1 | 13WEITER » Kostenexplosionen und Verzögerungen: Für viele fest zugesagte Bahnprojekte fehlt das Geld. Kaum ein großes Bauvorhaben erfüllt den Plan. Zehn Beispiele.
Foto: dpaStuttgart 21: Die Kosten für den Tunnelbahnhof und die 60 Kilometer Neubau- und Tunnelstrecken im Stadtgebiet mussten mehrfach auf inzwischen 4,1 Milliarden Euro nach oben korrigiert werden. Der Rahmenvertrag von 1995 veranschlagt Ausgaben von knapp 2,5 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof befürchtet, dass S 21 mindestens 5,3 Milliarden Euro kostet.
Foto: PlanungsbüroDas Planungs-Chaos geht weiter: Ein zunächst geheimes Papier der Deutschen Bahn listet Neu- und Ausbauprojekte auf, die wegen Geldmangels möglicherweise nicht umgesetzt werden können. Die Grafik zeigt, welche Strecken betroffen sind.
Foto: FR-Infografik
Und wohl die Bahnfahrer. Der unterirdische Bahnhof mit seinen nur noch acht statt zuvor 17 Gleisen birgt gewaltige Betriebsrisiken. Die Gutachter der Züricher Bahnberatung SMA warnen vor Engpässen in den Tunnelröhren, die den Bahnverkehr bundesweit stören könnten. In Auftrag gab die Expertise die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württembergvor mehr als zwei Jahren. Das Ergebnis verschwieg die Landesregierung ebenso wie die millionenschweren Verträge, die der Bahn in direktem Zusammenhang mit S21 zugeschanzt wurden.

Ende der 90er Jahre hatte der Konzern das Megaprojekt, das einst Ex-Bahnchef Heinz Dürr anschob, schon beerdigt – wegen Unwirtschaftlichkeit und zu hoher Kosten. Bei ehrlicher Würdigung der Fakten müssten Konzern, Politik und Parlamente heute zum selben Ergebnis kommen.



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