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voice recorder schrieb am 23.1. 2003 um 03:30:56 Uhr über

blockade

Auf den ersten Blick scheint dieser Einwand berechtigt. Die Wirklichkeit widerlegt ihn jedoch. Zumindest in Brasilien setzt sich das sogenannte »bourgeoise« Publikum nicht ausschließlich und nicht überwiegend aus »Bourgeois« zusammen. Zu ihm gehören auch Kleinbürger, Angestellte, Studenten, Lehrer. Ihre Meinung wird zum großen Teil von den Medien bestimmt, die im Besitz der Bourgeoisie sind. Sie denken wie Bourgeois, leben aber nicht wie Bourgeois. Infolge dieser Diskrepanz sind sie politisch labil und anfällig, aber auch offen für neue Ideen. Bietet man diesem Publikum ein Theater, das gesellschaftliche Probleme aus der Perspektive des Volkes und nicht der der herrschenden Klasse darstellt, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß dies Folgen im und für das Bewußtsein des Zuschauers hat. Wir müssen uns darüber im klaren sein: Nur etwa zehn Prozent des bürgerlichen Publikums in Brasilien sind Großbürger, die anderen möchten Großbürger sein. Diese zehn Prozent könnten nicht eine Woche lang ein Stück auf dem Spielplan halten. Wir dürfen unser Publikum nicht aufgeben, indem wir ihm das Schild »Bourgeo'IS« umhängen.
Die reaktionären Regierungen kämpfen um die Gunst dieser schweigenden Mehrheit, die zum Schweigen gebracht worden ist. Wir wollen ihr das Wort zurückgeben. Deshalb machen wir Volkstheater - Theater aus der Perspektive des Volkes.


Propagandatheater

In Brasilien wurde viele Jahre lang, bis zum ersten Staatsstreich i964, von den Centros Populares de Cultura Propagandatheater gemacht. Hauptthemen dieses Theaters waren aktuelle Probleme. Manchmal verfaßten Arbeiter selbst das Stück oder schrieben es zusammen mit den Studenten, die meist die Zentren leiteten. Die Zentren beteiligten sich an Wahlkampagnen und traten oft zu Beginn politischer Veranstaltungen auf. Ein Sketch, der häufig vor Wahlreden von Linkskandidaten aufgeführt wurde, hieß josg da Silva und der Schutzengel.-' Gezeigt wurde ein Tag im Leben eines brasilianischen Arbeiters, der an amerikanische Firmen Abgaben zahlen muß von dem Augenblick an, da er morgens

* Aus Augusto Boals Stück Revolu@äo na Am@?ica do Su4 Säo Paulo i96o. (Anm.
d. üb.)

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aufwacht und das Licht einschaltet (Light and Power), sich die Zähne putzt (Colgate, Palmolive) und sich die Hände wäscht (Lever Sunlight), Kaffee trinkt (American Coffee Company), sich in seinen alten Ford setzt oder in Goodyear-Stiefeln zu seinem Arbeitsplatz geht, Bohneneintopf aus der Dose ißt (Swift, Armour oder Anglo), bis er sich abends im Air-conditioned-Kino einen Western mit john Wayne ansieht und den Lift benutzt (Otis oder Atlas). Macht er schließlich in seiner Verzweiflung einen Selbstmordversuch, so erscheint ihm in seiner Todesstunde der Schutzengel der kapitalistischen Interessen: ein Engel mit amerikanischem Akzent, der dem armen jos@ das Entgelt für die Smith and Wesson abverlangt. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Direktheit machte diese Szene einem Bauern- und Arbeiterpublikum die Allgegenwart des Imperialismus klar, er war für sie nicht länger ein bloßes Wort.
Aus der ursprünglichen Fünf-Minuten-Szene wurde zuletzt ein Stück von einstündiger Dauer, da die Darsteller auf die Anregungen und Vorschläge aus dem Publikum eingingen und auch typisch regionale Details in die Handlung einbauten.
Immer dann, wenn in Brasilien ein Ereignis von politischer Bedeutung stattfand, machten sich die Zentren sofort daran, ein Theaterstück darüber zu schreiben und zu spielen. Noch in der gleichen Nacht, als Kennedy die Seeblockade über Kuba verhängte, setzten sich in der Uniäo Nacional dos Estudantes do Estado de Guanabarä einige Autoren zusammen und schrieben bis zum Morgen ein Stück. Am folgenden Nachmittag wurde es geprobt, am Abend im Freien, auf der Treppe des Stadttheaters, aufgeführt. Sein Titel lautete 0 auto do Bloqueio Furado (Der Einakter von der blockierten Blockade). Die Blockade war am Tag zuvor angeordnet worden, die sowjetischen Schiffe nahmen Kurs auf Kuba, so daß der Ausgang noch völlig ungewiß war. Der Text zeigte die Ursachen des Konflikts auf und skizzierte mögliche Entwicklungen. Dieses Stück hat in hohem Maße zur Solidarisierung des Volkes mit der kubanischen Revolution beigetragen. Da es bis zur Aufhebung der Blockade jeden Abend gespielt wurde, mit den Veränderungen, die jeweils dem neuesten Stand der Entwicklung entsprachen, hat es unverkennbar eine aufklärende Funktion erfiillt.
Es wurden noch zahlreiche andere Stücke, die den gleichen Zweck verfolgten, verfaßt und aufgeführt.



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