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mcnep schrieb am 11.5. 2003 um 19:58:37 Uhr über

Bandname

[Mein Nachbar] hatte viele Marotten, und eine ist mir besonders erinnerlich. Wenn jemand im Gespräch eine markante Wortkombination verwendete, dann unterbrach er seinen Gesprächspartner, wiederholte die markanten Wörter und fügte hinzu: »Guter Gruppenname!« Damals war es unter jungen Männern einer bestimmten Güte Usus, ein musikalisches Projekt zu betreiben und dessen Resultate wenigstens in einer Zwanziger-Kassettenauflage in nach heutigen Maßstäben unvorstellbar unordentlichen kleinen Plattenläden auszulegen. Mein Nachbar hatte kein rojekt, er beschränkte sich auf das Ertappen von Gruppennamen. Das ging z.B. so: Auf meinem Tisch lag eine Packung von Strohhalmen aus Plastik. Der Nachbar nahm die Packung in die Hand, las ab, was draufstand: »250 knickbare Trinkhalme« und schrie begeistert: »Super Gruppenname!« Vor kurzem mußte ich wieder an meinen Nachbarn denken, als ich am Rande eines Events von einem Anfangszwanziger angesprochen wurde.
Er stehe auf Zynikerschweine. Ob ich ihm Kontakt zu Zynikerschweinen vermitteln könne, fragte er mich. Ich war ein wenig verärgert, daß mich jemand in dieser Sache als geeigneten Ansprechpartner empfand und verneinte, indem ich darauf verwies, daß ich meine Zynikerschweinekartei gerade nicht dabei hätte.
[...]
Zu einem unfreiwilligen Helden des Jungmänner-Massenzynismus ist in diesem Jahr Ernst-August von Hannover geworden. Die Worte, die dieser Mann in dem Telefonat mit der Frau von der Bild-Zeitung aussprach, werden auswendig gelernt, von Theater-Billigschockern, Haßschriftstellern und Wannabe-Haßschriftstellern öffentlich dargeboten, millionenfach aus dem Internet runtergeladen, vermutlich gar - wer weiß? - als »moderne Gutenachtgeschichte« dem Nachwuchs vorgelesen. Man muß Ernst-August aber vor seiner dämlichen Fangemeinde in Schutz nehmen. Man raunt sich ja zu, er habe psychische Probleme. Gewiß: In einer solchen Situation sollte man nicht in der Welt herumtelefonieren. Man sollte gesund sein, wenn man schimpft. Aber: Das, was Ernst-August sagte, rief zwar stilistisch laut nach Lehrers Rotstift, es hatte aber eine beachtliche Energie. Vor allem sagte er Richtiges. Er sagte das, was jeder unverbogene Mensch einem Mitarbeiter dieses Blattes sagen sollte. Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muß so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun. Schade, daß jemand erst psychisch krank werden muß, um diese allzu lange nicht gehörten grundsätzlichen Wahrheiten in Erinnerung zu rufen. Vor dreißig Jahren gab es in Deutschland eine geistig rege Jugend, die erkannte, wer der Feind ist. Heute döst die Jugend und weiß nichts von der Wahrheit.
Wir brauchen aber Wahrheit. Nehmen wir halt den Adel, wenn die Studenten schweigen.
Ernst-August verdient Respekt. Schenkelklopfende Verehrung sollte man ihm ersparen. Schenkelklopfende Verehrung, hätte mein Nachbar gesagt, guter Gruppenname.

Aus: Max Goldt, 'Mein Nachbar und der Zynismus' (September 2000)
in: Der Krapfen auf dem Sims


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