>Info zum Stichwort Rohrstock | >diskutieren | >Permalink 
Freundin schrieb am 19.4. 2015 um 21:53:07 Uhr über

Rohrstock

Die Reformation hat nicht nur einen hohen Preis zahlen müssen, sie hat auch nicht vermocht, ihre neuen Erkenntnisse in allen Konsequenzen zu überschauen und rein durchzuführen. Nicht davon ist die Rede, daß sie nicht überall schlechthin Gültiges und Bleibendes geschaffen hatwie wäre das möglich, und wer könnte das wünschen! Nein, ihre Ausgestaltung ist auch dort rückständig geblieben, wo man nach dem ersten, grundlegenden Anfang Höheres erwarten durfte. Verschiedene Ursachen haben hier zusammengewirkt. Hals über Kopf mußten seit dem Jahre 1526 evangelische Landeskirchen gegründet werden; sie mußten abgeschlossen undfertigsein, als noch so vieles im Flusse war. Dazu kam, daß das Mißtrauen nach links, nach Seite der „Schwarmgeister“, sie bestimmte, Richtungen, mit denen sie noch ein gutes Stück Wege hätte zusammengehen können, energisch zu bekämpfen. Daß Luther von ihnen schlechterdings nichts lernen wollte, ja daß er gegen seine eigenen Erkenntnisse, wenn sie mit denen der „Schwarmgeister“ zusammentrafen, argwöhnisch wurde, hat sich bitter gerächt und wurde den evangelischen Kirchen in der Aufklärungsepoche heimgezahlt. Man muß noch mehr sagen auf die Gefahr hin, zu den Verkleinerern Luthers gerechnet zu werden: dieser Genius hatte eine Kräftigkeit des Glaubens wie Paulus und durch sie eine ungeheure Macht über die Gemüter, aber auf der Höhe der Erkenntnisse, wie sie schon in seiner Zeit zugänglich waren, hat er nicht gestanden. Es war kein naives Zeitalter mehr, sondern ein tief bewegtes und fortgeschrittenes, in welchem die Religion darauf angewiesen war, Fühlung mit allen geistigen Mächten zu nehmen. In diesem Zeitalter fiel es ihm zu, nicht nur Reformator, sondern auch geistiger Führer und Lehrer sein zu müssen: die Weltanschauung und das Geschichtsbild hat er neu für Generationen entwerfen müssen; denn es war keiner da, der ihm half, und man wollte niemanden hören als ihn. Er aber hat nicht mit allen hellen Erkenntnissen im Bunde gestanden. Endlich, er wollte überall auf das Ursprüngliche, auf das Evangelium selbst zurückgehen, und soweit das durch Intuition und innere Erfahrung möglich war, hat er es geleistet; dazu, er hat auch treffliche geschichtliche Studien gemacht und ist siegreich an vielen Stellen durch die Schlachtlinie der überlieferten Dogmen hindurchgedrungen. Aber eine gesicherte Kenntnis ihrer Geschichte war damals noch eine Unmöglichkeit, und noch unerreichbarer war eine geschichtliche Erkenntnis des Neuen Testaments und des Urchristentums. Bewunderungswürdig ist es, wie Luther trotzdem so vieles durchschaut und richtig gewertet hat. Man lese nur seine Vorreden zu den neutestamentlichen Büchern oder seine SchriftVon Kirchen und Conciliis“. Aber zahllose Probleme hat er gar nicht erkannt, geschweige lösen können, und war daher unvermögend, Kern und Schale, Ursprüngliches und Fremdes zu unterscheiden. Wie kann man sich daher wundern, daß die Reformation als Lehre und Geschichtsbetrachtung noch etwas ganz Unfertiges gewesen ist, und daß, wo sie keine Probleme sah, Verwirrungen in ihren eigenen Gedanken entstehen mußten? Nicht wie Pallas Athene konnte sie fertig aus dem Haupte des Jupiter entspringenals Lehre vermochte sie nur einen Anfang zu bezeichnen und mußte auf Weiterführung rechnen. Aber indem sie sich rasch zu festen Landeskirchen formierte, war sie nahe daran, sich selbst ihre weitere Entwicklung für immer abzuschneiden.






   User-Bewertung: /
Jetzt bist Du gefragt! Entlade Deine Assoziationen zu »Rohrstock« in das Eingabefeld!

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »Rohrstock«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »Rohrstock« | Hilfe | Startseite 
0.1637 (0.1579, 0.0044) sek. –– 822775377