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Didi Krause schrieb am 22.9. 2003 um 23:01:14 Uhr über

Blumenverkäufer

»Köchin will sie also werden?«, fragt die Freundin die Hundebesitzerin und steht im Halbdunkel ihres Zimmers vom Bett auf, geht zur Bettkonsole und holt aus der hintersten Ecke der untersten Schublade eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug heraus. »Ja«, antwortet die Hundebesitzerin, die immer noch auf dem Sofa sitzt. »Wie ihr Vater?«, hakt die Freundin nach. »Ja«, entgegnet die Hundebesitzerin wieder knapp. »Er hat bestimmt einen Druck auf sie ausgeübt und nötigt sie, seinem Weg und Vorbild zu folgen«, vermutet die Freundin. »Das weiß ich nicht«, sagt die Hundebesitzerin. »Oder er hat ihr das Berufsbild der Köchin, seine Vorteile und das Ansehen, das sie damit erlangen wird, in den wärmsten Farben ausgemalt«, spekuliert die Freundin weiter. »Darüber ist mir nichts bekannt. Sie ißt jedenfalls selbst gerne und viel. Das wird jedem deutlich, der sie auch nur einmal mit eigenen Augen sieht«, erwidert die Hundebesitzerin. »Er hat sie sicher mit seinem Urteil ohne Absicht, aber mit großer Blindheit betrogen, dessen Weitsicht er sich aus Kurzsichtigkeit und Beschränktheit nur einbildet«, ergänzt die Freundin ihre Rede, ohne auf die Worte der Hundebesitzerin einzugehen. »So über ihren Vater zu reden, ist niederträchtig, da Du ihn nicht einmal kennst«, entgegnet die Hundebesitzerin verärgert. Die Freundin öffnet das Fenster, steckt sich eine Zigarette an und lehnt sich mit dem Rücken an die Fensterbank. Nach jedem Zug dreht sie den Kopf halb zur Seite und bläst den Zigarettenrauch aus dem Mundwinkel zum Fenster hinaus. »Mein Vater rät mir, Fondberaterin bei der Sparkassenfiliale in unserem Stadtteil zu werden. Er kennt dort den Abteilungsleiter für Investmentangelegenheiten. Es bräuchte nur einen Anruf seinerseits und mein Weg zur Abteilungsleitungsassistentin und in spätestens fünf Jahren zur stellvertretenden Fililleiterin sei geebnet«, sagt die Freundin ernst. »Dein Vater scheint ein sehr einflussreicher Mann zu sein«, wirft die Hundebesitzerin ein. »Nein, überhaupt nicht. Er hat nur eine sehr laute Stimme am Telefon«, erwidert die Freundin und fährt fort: »Ein Studium wäre sinnlos, meint er. Es zögere den Weg zur Abteilungsleitungsassistentin und stellvertretenden Fililleiterin nur um mindestens vier Jahre hinaus, und diese Verzögerung betrachtet er als Schande. Ich will aber auch gar nicht studieren.« »Ein Studium ist vielleicht auch anstrengend«, entgegnet die Hundebesitzerin. Die Freundin dreht sich um und reckt sich mit einem tiefen Zug an ihrer Zigarette zu Fenster hinaus. Als sie sich wieder dem Zimmer zuwendet, setzt sie ihre Rede fort: »Der Kellner im Bistreau hat eine Glatze und immer Turnschuhe an. Er ist nicht sehr herzlich, fast unfreundlich, aber im Gebrauch seines Verstandes und in der Wahrnehmung seiner Pflichten dennoch sehr gewissenhaft. Er dreht sich schon um und geht in die Richtung der Küche, bevor der Gast die Bestellung vollständig aufgegeben hat, da er genau abzuschätzen weiß, daß zu dem, was er schon aufgenommen hat, nicht mehr viel hinzukommen kann. Der Gast muss ihm dann den Rest in den sich entfernenden Rücken rufen. Er bestätigt dann die Bestellung, während er schon fast die Küche erreicht hat, mit einem lauten 'Ja', ohne sich umzudrehen. Die Gäste schauen sich dann oft empört an und schütteln den Kopf. Er jedoch macht niemals etwas falsch und führt die gesamte Bestellung vollständig und korrekt aus. Trotz der Feindschaft, die seine Person erregt, ist er für niemanden anfechtbar, und alle sind zu einem vorsichtigen Verhalten aufgefordert spüren, daß seine seltenen Fragen mit größter Genauigkeit und überlegter Sorgfalt beantwortet werden müssen.« »Und jetzt willst Du also Kellnerin werden?«, fragt die Hundebesitzerin spöttisch. »Nein, mir ist an den Gasttischen dieses Kellners so unbehaglich zumute wie im Wohnzimmer meines Vaters«, erwidert die Freundin und fügt hinzu: »Ich habe weder dem Kellner noch meinem Vater etwas Ebenbürtiges entgegen zu setzen und würde gewiss in den Boden einbrechen, auf dem sie so sicher ruhenDie Hundebesitzerin hat den letzten Worten ihrer Freundin nicht mehr zugehört und den Kopf auf ein Sofakissen gelegt, während sie mit einer Hand durch das Nackenfell ihres Hundes streicht. Die Freundin dreht sich zum Fenster und schnippt den Rest ihrer Zigarette mit zwei Fingern in die feuchte Luft hinaus. Ein wenig glimmender Tabak löst sich und bleibt auf einem Blatt des Baumes vor ihrem Fenster liegen. Die Freundin lehnt sich auf die Fensterbank und starrt hinaus, bis die Glut verlöscht.


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