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wuming schrieb am 11.5. 2003 um 00:39:42 Uhr über

Adorno

Mario Scalla

Dagegen










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LINKSBÜNDIGIn Frankfurt kommt langsam aber
sicher Adorno ins Rollen

Wann das Adorno-Jahr genau begonnen hat, ist schwer zu
sagen. Vermutlich letztes Jahr, als Judith Butler in Frankfurt die
neu eingerichteten Adorno-Vorlesungen hielt und davon sprach,
dass ihre Beschäftigung mit dem Theoretiker unter das Motto
»Mit Adorno gegen Adorno« gestellt werden könnte. Wie auch
anders, denn 34 Jahre nach seinem Tod, 59 Jahre nach der
Veröffentlichung der Dialektik der Aufklärung behauptet niemand
mehr, seine Gedanken könnten unreflektiert in die Gegenwart
übertragen werden. So manche Nachfolger lassen sich dennoch
nicht davon abbringen, seine markanten oder verrätselten Sätze
bedeutungsschwer zu zitieren, als wäre damit alles gesagt und
bewiesen. Adorno-Zitate geistern durch Frankfurt, ornamentieren
zumindest für die Dauer seines 100. Geburtsjahres die
Feuilletons, und selbst die Lokalpolitiker entdecken ihn als
Knuddelteddy im kommunalen Standortwettkampf.

Als Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth auf einer
Pressekonferenz wissen ließ: Wir möchten, dass Adorno neu
gelesen wird, leuchtete ihr Wunsch unmittelbar ein. Was soll man
auch sonst machen in einer Stadt, die Lehrstühle für Kritische
Theorie zur Verschiebemasse erklärt, im kommunalen
Kulturabwicklungswettkampf aussichtsreich einen Vorderplatz
belegt und H.-B. Nordhoff ihr Eigen nennt, diese undialektische
Negation eines Kulturdezernenten, der noch die Eröffnung eines
Mainstream-Kinos - oder war es ein Sushi-Laden? - zum
hochkulturellen Renommierobjekt empor schwafelt? Wenigstens
ein halbwegs anständiges Adorno-Jahr möchten sie also
hinlegen und haben zu diesem Zweck ein Büro eingerichtet, das
alle Aktivitäten koordinieren soll. (*) Ein Symposion, ein
Kolloqium, eine Konferenz, drei Ausstellungen, Adorno-Lerntage,
Vorträge, die Neugestaltung des Adorno-Platzes (der alte schien
also tatsächlich gestaltet worden zu sein), kurz gesagt, geht es
nach Frankfurts Politikern, ist die Lebendigkeit kritischer
Gesellschaftstheorie keine Frage mehr.

Das Angenehme an der Kritischen Theorie war immer, das
niemand angeben konnte, worin denn der Kern der Lehre oder
die Schulmeinung besteht, außer eben darin, kritisch zu sein.
Doch was dies konkret bedeutet, muss tückischerweise immer
wieder neu bestimmt werden. Das Symposion, das jetzt die
wissenschaftliche Beschäftigung im Jubiläumsjahr einläutete, hat
dabei einen Anfang gemacht. Adorno und die
Globalisierungsdiskussion, der Mythos Markt, die Assoziation
freier Individuen lauteten einige der Themen. Klärungsbedarf
besteht vor allem bei der Frage, ob der Schwerpunkt des Mottos
»Mit Adorno gegen Adorno« auf dem Mit oder auf dem Gegen
liegt. Zuweilen kann es sogar ohne heißen, und das ist auch völlig
in Ordnung, denn Reflexionen über obszöne
Einkommensunterschiede, shareholder value oder real
existierende freie Assoziationen in Lateinamerika, die sich der
Kapitallogik entziehen wollen, gehören zu einer Kritischen
Theorie, auch wenn Adorno noch nichts darüber schreiben
konnte. Die intellektuell sehr einfache, praktisch aber häufig sehr
schwer umzusetzende Definition einer Kritischen Theorie lautet
schließlich, zuerst einmal dagegen zu sein.

Auf dem Symposion hat der Frankfurter Soziologe Alex
Demirovic daran erinnert, dass zur Frankfurter Schule auch
immer eine institutionelle Basis zählte, eine Art Bastion, von der
aus in die Gesellschaft eingegriffen werden konnte. Bei der
Beschreibung der aktuellen Lage an den Universitäten fielen
jedoch Stichworte wie Privatisierung oder Verdummung. Der
Verlust an gesellschaftlicher Rationalität, in den Bereichen
Bildung, Wirtschaft, Politik, legt die Vermutung nahe, dagegen
mit Adorno zu streiten sei aussichtsreich. Vorausgesetzt
allerdings, im Jubiläumsjahr wird einiges von dem kritischen
Potential reaktiviert und modifiziert, das innerhalb der Frankfurter
Schule entwickelt wurde und das, nicht zu vergessen, von den
institutionellen Nachfolgern Habermas und Honneth auch gegen
Adorno dem Mainstream angepasst wurde.

(*) www.kultur.frankfurt.de, Stichwort Literatur, Adorno 2003


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