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® schrieb am 7.12. 2010 um 07:21:38 Uhr über

Hirten

Hirten und Wölfe: ein weites Feld für die Forschung [1]



Die USA eine Plutokratie im Griff eines Klüngels von Milliardären, repräsentiert von korrupten Politikern, geschützt von einer Generals-Junta und drogenhandelnden Geheimdienstlern, übergossen vom schönen Schein aus Hollywood? Das wäre zu viel gesagt. Doch eine imperiale Macht römischen Zuschnitts sind die USA schon. Und eine aktive, eng verflochtene Oberschicht gibt es auch. Sie legt inzwischen ganz privat - unter der Ideologie der Privatisierung - ein Netz aus Habgier und Verschlagenheit über den Globus.

Warum benutzen wir mit Blick auf die 'Eliten des Imperiums' das biblische Wort von den Hirten und Wölfen? Vielleicht, weil sie oft auftreten, als hätten sie die Weltmoral gepachtet. Mit biblischem Pathos sehen sie sich selbst als Hirten, manchmal sogar zu recht. Als Wölfe aber werden sie von anderen gesehen, vor allem von den Schafen des Südgürtels. Sie verfügen inzwischen in einem beängstigenden Ausmaß über die Bedingungen der Verteilung der Reichtümer dieser Welt. Die Erde ist ihr Schachbrett, auf dem es um Ressourcen und Territorien geht. Die Erde ist ihr Cyberspace, wo alle kulturellen Erfahrungen der Menschheit unter Kontrolle gebracht werden können. Sie schicken sich an, auf diesem Planeten nicht nur Menschenrecht, sondern auch Eigentumsrecht zu setzen - oder, wenn es in ihrem Interesse ist, zu zerstören. Fragt man sie: Geht es euch um die Schätze der Erde oder um die Köpfe der Menschen oder um beides oder um nichts?, so bleiben sie stumm oder weichen aus. Denn eine kulturvolle Elite, eine Elite des Diskurses und der Vernunft im guten alten bürgerlichen Sinne sind sie nicht. Im Gegenteil: »Das System ist so konstruiert, dass die Mittelmäßigen und Skrupellosen ganz nach oben kommen.« (Michael Moore)



Ein Ringmodell der Machteliten



Das Motiv einer ‘Ringburg’ durchzieht mehrere Texte dieses Buchs. Damit ist keineswegs Harmonie und Konfliktfreiheit zwischen den Gruppen impliziert, wohl aber gemeinsame, um den Geldreichtum konzentrierte Interessen.



Den innersten Kern bilden die Superreichen: Sie unterscheiden sich von den Reichen dadurch, dass sie in keinerlei Gefahr schweben, ihre Vermögen durch irgendwelche Umstände plötzlich zu verlieren. Im Gegensatz zu den Reichen können die Superreichen absolut ruhig schlafen. Ihre Vermögen sind so riesig, so weit verzweigt, so gut platziert, auch so gut versteckt, dass dieser Planet schon zerplatzen müsste, damit auch sie nur noch im Hemd da stünden (Lundberg 1968). Lässt man einmal die Frage beiseite, wo sie ihren Hauptwohnsitz haben, verfügt das reichste halbe Prozent der U.S. Bevölkerung über einen größeren Anteil am nationalen Reichtum als die unteren 90 Prozent, und die reichsten 10 Prozent verfügen über dreiviertel des gesamten Reichtums. Und mit diesem Reichtum geht außerordentliche soziale Macht einher - die Macht, Politiker, Publizisten und Professoren einzukaufen, die Macht, die Politik des Gemeinwesens ebenso wie die Politik der Konzerne zu diktieren.

»Seine beeindruckendste Eigenschaftschreibt Robert Scheer 1976 im Playboy nach einem Interview mit Nelson Rockefeller, »ist sein Vertrauen in die Fähigkeit, jedermann kooptieren zu können. Ich verstand bald, dass Rockefeller implizit an die marxistische Klassenkampfanalyse glaubt - er steht nur eben auf der anderen Seite. Die Rockefellers sind nicht mächtig wegen ihres ungeheuren Reichtums, sondern weil sie sich durch geschickten Gebrauch ihres Reichtums zum Schiedsrichter unseres politischen Grundkonsens machen konnten. Wir neigen dazu, die großen multinationalen Konzerne als unabhängige und miteinander rivalisierende Einheiten zu betrachten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Spitzen der Industrie und Finanz verständigen sich kontinuierlich sowohl in harten Diskussionen als auch bei freundschaftlichen Treffen.« (Playboy, April 1976)

Den ersten Ring um den Kern der Superreichen nennen wir den CEO-Komplex: Die Chief Executive Officers großer Unternehmen, Versicherungen, Investmentfonds usw. bilden zusammen mit den Superreichen den magischen Zirkel der oberen Zehntausend. Diese Zahl ist seit Jahrzehnten konstant geblieben, schreibt Geneva Overholser, auch wenn andere diese Gruppe betreffende Zahlen unablässig steigen. 419mal mehr als seine Arbeiter verdient im Durchschnitt der CEO eines großen amerikanischen Konzerns: 10.7 Millionen Dollar jährlich. Sein Gehalt stieg beispielsweise 1998 um 36 Prozent, der Lohn eines Facharbeiters um 2.7 Prozent. [2] Solche Operationen gehen auf die größte Umverteilungsmaschinerie der Welt zurück, das Finanzsystem der USA. Seine vorgebliche Aufgabe, die Ersparnisse der Gesellschaft in Richtung der besten Investitionen zu lenken, erfüllt es nur kümmerlich. Aber für die Mehrung des Vermögens der Wenigen ist es bestens eingerichtet.

Auch die Chief Executive Officers der größten Militärorganisation aller Zeiten, die US-Generäle, gehören zum CEO-Komplex. Schon 1960 hatte Dwight D. Eisenhower vor ihrer Kollaboration mit den anderen CEOs gewarnt. In den Sechzigern wurde gegen den Militär-Industrie-Komplex protestiert. In den Siebzigern, nach der Vietnam-Niederlage, wurde er perfektioniert und in den Neunzigern elektronisch aufgerüstet. Jetzt, nach dem 11. September 2001, scheint es kein Halten mehr zu geben.

Den zweiten Ring um das Zentrum des Private Wealth bevölkert die politische Klasse im weitesten Sinne. Dazu gehören nicht nur die Spitzen der Regierung, der Parteien usw., sondern auch andere Gruppen, die mit politics befasst sind: Verbandsfunktionäre, Rechtsanwälte, politische Beamte und die maßgeblichen Medienleute. Sie vermitteln auf die eine oder andere Weise zwischen den oberen Zehntausend und der restlichen Gesellschaft, den Massen. Sie halten das ganze System einigermaßen stabil und mehren nicht nur den Wohlstand der Superreichen, sondern kümmern sich, trotz ständiger Umverteilung von unten nach oben, auch um ein Minimum an Verteilungsgerechtigkeit. Denn dieses ist die ureigenste Aufgabe der politischen Klasse.

Der Enron-Skandal hat hier großen Schaden angerichtet. Er ist ein zentrales Ereignis in der US-Elitengeschichte und spielt zwischen CEOs und besagter politischer Klasse. Ken Lay, der entehrte Chef von Enron, hatte Bush-Sohn während des Wahlkampfs nicht nur seinen corporate jet, sondern auch viel soft money zur Verfügung gestellt. Ken Lay wählte die Spitzenleute des Energieministeriums aus und gründete mit Dick Cheney (bis 2000 Topmanager der Ölfirma Halliburton) jene energy task force, die eine neue Energiepolitik entwickeln sollte. Lawrence Lindsay, Bushs Chefberater in Wirtschaftsfragen, kam aus dem Dunstkreis der Enron-Connection, auch Finanzminister Paul O'Neill, desgleichen Robert Zoellick, Bushs Federal Trade Representative, und der Bürochef des Weißen Hauses, Karl Rove. Verfassungspolitisch ist der Enron-Skandal gravierender als Watergate.

Den Außenring um die oberen Zehntausend und die politische Klasse schließlich bildet die Schicht der Technokraten und Dienstleister: In diesem Millionen-Heer von Beratern, Experten, Helfern aus allen Bereichen der Gesellschaft (Wissenschaft, Medien, Kultur, Technik usw.) finden sich auch viele Angehörige der Mittelschichten bis hin zu dienstbaren Geistern, Chauffeuren, Physiotherapeuten, Köchen, Sicherheitspersonal. Robert Reich, Clintons erster Arbeits- und Sozialminister, hat diesen Trend zu einer 'Dienstbotengesellschaft' am Hofe der Superreichen anschaulich beschrieben (Reich 1998).



Mögliche Forschungsthemen (die hier und im folgenden jeweils genannten Themen und Hinweise sollen zu eigenen Recherchen anregen; insofern fehlen genauere bibliografische Angaben; die erwähnten Autoren sind aber im Literaturverzeichnis dieses Buches ausgewiesen):

Treffpunkt der Machteliten ist beispielsweise The Bohemian Grove, ein nur auf Einladung zugängliches Sommerrefugium für die reichsten und mächtigsten Männer Amerikas im Norden San Franciscos, wo man unter sich bleibt und wo auch Präsidentschaften ausgehandelt wurden.

Das Council on Foreign Relations, die mächtigste, seit 1921 bestehende private Denkfabrik der amerikanischen Außenpolitik stellt mit seinen rund 3000 Mitgliedern so etwas wie eine geistige Ressource für den Machterhalt des Establishments dar. Das CFR gibt das Journal Foreign Affairs heraus. »Rufen Sie nicht an, wenn Sie Mitglied werden wollen, man wird Sie anrufen. Und warten Sie nicht auf den Anruf, wenn Sie nicht wirklich reich sind, Erfahrung in nationalen Sicherheitsfragen oder mit der CIA haben, wichtige politische Interessen vertreten oder in den Medien mitreden.« (Laurence Shoup / William Minter, Imperial Brain Trust: The Council on Foreign Relations and Foreign Policy)

Die Bilderberg Group, 1954 in Holland gegründet, gehört zu den Vereinigungen, an denen sich die Phantasie der Verschwörungstheoretiker besonders entzündet. Die Liste der bekannten Mitglieder (die Amerikaner unter ihnen gehören meist auch dem CFR an) ist lang und schließt z.B. George Bush Sr., Bill Clinton und Tony Blair ein. »By now Bilderberg is a symbol of world management by Atlanticist elites.« (Anthony Sampson)

Die Trilateral Commission ist z.T. aus der Bilderberg Group hervorgegangen (vgl. 'Die Siebziger'). Nach einer Befragung von 100 der 325 'Trilateralisten' befand Professor Stephen Gill, York University in Toronto, schon 1991: 1) der Einfluss Amerikas ist durch seine internationalistische, Europa und Japan einbindende Politik und die größere Mobilität des Kapitals enorm gewachsen; 2) 'transnationale Kapitalisten' können die vorherrschenden politischen und ökonomischen Trends und die enormen Fortschritte in der globalen Kommunikationstechnologie viel besser nutzen; 3) Gruppen wie das CFR, die Trilateral Commission und Bilderberg machen große Anstrengungen, Spitzenintellektuelle zu kooptieren, um so die Ideen des Internationalismus, des Freihandels und einer Neuen Weltordnung in der öffentlichen Meinung durchzusetzen.

Über die großen amerikanischen Stiftungen - allen voran die Carnegie, Ford und Rockefeller Foundations – ist gerade in der Bundesrepublik noch viel zu wenig bekannt. Bereits 1958 schrieb René A. Wormser: »In den Händen dieser vernetzten und sich selbst verewigenden Gruppe ist unvergleichliche Macht konzentriert. Anders als Unternehmensmacht wird sie nicht durch Aktionäre, anders als Regierungsmacht wird sie nicht durch Parlamente, anders als Kirchenmacht wird sie nicht durch einen festen Wertekanon kontrolliert

Verschwörungstheorien sind ein umstrittenes Thema, und in Amerika gibt es sie im Überfluss. Wer über Machteliten berichtet, muss sich dem Thema stellen. Dem 'allgemeinen Verschwörungsverdacht' - und auch dem 'allgemeinen Terrorismusverdacht' - kann man nur entgegentreten, wenn man sich ein Gespür für die Komplexität des politischen Lebens, für die geheimen Aspekte staatlicher Macht, für schwer zugängliche Informationen erhält.

usw.



Die Dreißiger: New Deal und ein bisschen Faschismus

Franklin D. Roosevelt war ein vielgehasster Mann, als der junge John Kenneth Galbraith 1933 seinen ersten Beraterjob in der neuen Administration landete. Das New Deal bestand vor allem darin, den Wirtschaftsbossen, nach Jahrzehnten der Selbstherrlichkeit und nach dem Desaster der Great Depression, eine staatliche Bürokratie zur Seite zu stellen. »Während der Roosevelt-Jahre wunderte man sich allenthalben, dass die Geschäftswelt so heftigen Widerstand gegen die Ausdehnung des öffentlichen Sektors leistete. Schließlich diente das alles doch der Stabilisierung und Verbesserung ihrer eigenen finanziellen Gewinnchancen. Es lag wohl daran, dass die herausragende Stellung von Big Business, sein Machtbewusstsein herausgefordert wurden. Und diese Haltung gibt es noch heute, denn die Wirtschaftsbosse glauben zutiefst, dass sie die entscheidende Kraft im Wirtschaftsleben bleiben müssen.« (Galbraith 1999, 35)

Bis in die Dreißiger galt: korrupten lokalen und regionalen Politikergrößen und einer schwachen Washingtoner Zentralregierung stand eine durch die Feuer der freien Konkurrenz gegangene selbstbewusste Business-Elite von Industriellen und Bankiers gegenüber. Sie hatte sich dieses Land bis zum Pazifik hin erschlossen und bestimmte wie selbstverständlich über den Gang der Dinge. Der Kern des Rooseveltschen New Deal bestand in der überfälligen Ausdehnung der Rolle des Staates bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bei der Planung und Entwicklung der Wirtschaftsstruktur. Zwar sahen allmählich auch die oberen Zehntausend ein, dass eine moderne Industriegesellschaft nur durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Eliten zu steuern war; und dass nun auch Planer, Verwalter, Experten - kurz, eine neue Elite von 'Technokraten' - ein Mitspracherecht beanspruchen konnten. Aber musste eine solche 'Modernisierung' gleich 'mehr Demokratie' bedeuten? Schließlich gab es ja auch andere entwickelte Industriegesellschaften wie Italien, Deutschland und Japan - und dort war das Problem durch die Einführung des Faschismus, einer autoritären und offensichtlich ebenso effizienten 'Wirtschaftsgesellschaft' gelöst worden. Nicht von ungefähr also nahmen manche Angehörige der traditionellen amerikanischen Eliten autoritär-faschistische Lösungen des Modernisierungsproblems mit Sympathie zur Kenntnis.

Es ist ein historisches Verdienst der Rooseveltschen Reformen, der Welt bewiesen zu haben, dass Demokratie und Modernisierung miteinander vereinbar sind und dass dies letztlich der einzig gangbare Weg ist. Unter Roosevelt ging der Anteil der Milliardäre an der amerikanischen Bevölkerung dramatisch zurück (um erst in den Reagan-Jahren wieder, und seither ungehemmt, anzusteigen). Man wies den oberen Zehntausend einen gemütlichen Platz an: »Wir sehen im amerikanischen Establishment eine kirchenähnliche Institution, die eine Mittlerrolle zwischen den konkurrierenden Kräften in unserer Gesellschaft spielt, und zwar auf eine gemäßigt reformistische und letztendlich konservative Weise.« (Silk u. Silk 1981, 11) Doch die autoritären Gelüste verschwanden nicht.



Mögliche Forschungsthemen:

Henry Ford ragt aus der Zeit der Robber Barons in die Zeit der Dreißiger. Er erfand das Fließband und den gut bezahlten Fabrikarbeiter. Er richtete aber auch ein Sociological Department ein, um den Schnapskonsum seiner Arbeiter zu kontrollieren und die Gewerkschaften zu bekämpfen. Er hatte Sympathien für Adolf Hitler.

Geschäftliche Beziehung mit Hitlerdeutschland, auf verschlungenen Wegen sogar während des Krieges, hatten eine Reihe amerikanischer Unternehmen: Rockefellers Chase National Bank (später Chase Manhattan), Standard Oil of New Jersey, International Telephone and Telegraph (ITT), General Aniline and Film (GAF), Ford, General Motors, DuPont. Auch die große Rechtsanwaltsfirma Sullivan and Cromwell konnte auf eine zehnjährige Zusammenarbeit mit Hitler zurückblicken.

Für die amerikanische Bankdynastie Morgan ist, gemeinsam mit der DuPont-Familie, für das Jahr 1934 sogar der Plan eines bewaffneten Putsches gegen Franklin D. Roosevelt belegt.

usw.



Die Vierziger: Weltmoral, Rüstungsfinanzierung und Kulturindustrie

Franz Neumann, ein deutscher Emigrant, schreckte 1942 gerade diejenigen amerikanischen Intellektuellen auf, die auf Roosevelts New Deal gesetzt hatten. Neumanns Analyse der Struktur des nationalsozialistischen Herrschaftssystems unter dem Titel Behemoth zeigte nämlich, dass die Bildung großer Monopole, die Bürokratisierung aller Bereiche, die Prägung des parlamentarischen Systems durch Berufspolitiker und eine Politisierung des Militärs die Voraussetzungen für das Entstehen des nationalsozialistischen Systems in Deutschland gewesen waren. Hatte der Krieg aus den Elementen des New Deal nicht auch eine solche Konstellation heranreifen lassen? Das nach Kriegsende zu beobachtende neue Zusammenspiel der Spitzen von Großindustrie und Washingtoner Bürokratie mit einer neuen Klasse von Berufspolitikern und mit 'politischen Generälen' jedenfalls weckte Misstrauen. Mit seinem berühmten Buch The Power Elite brachte der Soziologe C. Wright Mills diese Befürchtungen auf den Punkt.

Im Krieg wurde eine gewaltige Rüstungsindustrie aus dem Boden gestampft, ab 1945 wurde daraus das stärkste Industriepotential der Welt. Die USA hatten die moralische Führerschaft in der Anti-Hitler-Koalition übernommen. Die amerikanischen Eliten lernten schnell. Die Grundlagen für ihre künftige globale Rolle wurden endgültig geschaffen. Vor allem waren die USA zum globalen Finanzmanipulator geworden. Seit den 30er Jahren war Fluchtgold in die USA geströmt, die Goldmenge hatte 1950 über 24 Milliarden Dollar erreicht, fast 64 Prozent der gesamten nationalen Geldreserven der USA. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Fluchtgold zur kostenlosen Kreditbasis für die amerikanischen Kriegsausgaben. Die amerikanischen Bankiers behandelten den Goldschatz, als wäre er über Nacht aufgetaucht, und nutzten ihn für das riesige Lend&Lease Programm, durch welches die übrigen Alliierten, vor allem die Sowjetunion, zu Waffen kamen - auf Pump und zu hohen Zinsen. »Die Nation konnte Krieg führen, ohne dass die Menschen zuhause Opfer bringen mussten. Amerikas Rolle im Zweiten Weltkrieg wurde, im Sinne seiner Kreditbasis, mit dem Gold bezahlt, das dort Zuflucht gesucht hatte.« (McCarthy 1974, 52f)

Das Bretton Woods System entstand, das den Rest der Welt zwang, Gold und U.S. Dollar als funktional identisch zu akzeptieren, während die beiden in Amerika selbst nicht austauschbar waren. Die Vereinigten Staaten finanzierten ihre wachsenden Übersee-Militärausgaben und den Überschuss im Außenhandel dadurch, dass sie zuhause gedruckte Papierdollar im Ausland als Goldäquivalent ausgaben. Das konnte natürlich nicht ewig so weitergehen. Vor allem die Verbündeten wurden unruhig. Zwar wurde der Vietnamkrieg, unter stillschweigender Zustimmung europäischer und asiatischer Finanzinstitutionen, zunächst auch noch so finanziert. 1971 aber wurde das Bretton Woods System aufgrund internationalen Drucks aufgekündigt. Die Amerikaner wurden zu einer Realpolitik gezwungen. Jetzt musste auch in Finanzdingen neu gezaubert werden. Doch das greift der Darstellung voraus.

Nach Kriegsende hatten amerikanische policy planner damit begonnen, eine Pax Americana auf den Ruinen des deutschen, britischen und japanischen Imperialismus zu errichten. Da waren die War and Peace Studies des Council on Foreign Relations, da entstand das Konzept des Kalten Krieges, die Vereinten Nationen erhielten ein hübsches Haus in Manhattan, die überseeischen Militäreinrichtungen wurden unter der Logik der Pax Americana ausgebaut. Und die Culture Wars begannen. Als Stalin Ende der 40er Jahre versuchte, mit massivem Propagandaaufgebot westliche Intellektuelle und Künstler für die Sowjetunion zu begeistern, blies die CIA zur Gegenoffensive. Schließlich unterhielt der 1950 gegründete Congress of Cultural Freedom in 35 Ländern eigene Büros. »Das war ein kultureller Marshallplan. Es ging darum, mit der Kultur die Felder der Außenpolitik auszuweiten - auf sehr subtile und elitäre Art und Weise.« (Saunders 1999, 67)



Mögliche Forschungsthemen:

John J. McCloy war der Archetyp des macht- und einflussreichen Angehörigen der 'oberen Zehntausend': Assistant Secretary of War (1941-45), High Commissioner für Deutschland (1949-1952), Präsident der Weltbank (1947-1949), Chef der Chase Manhattan Bank (1953-1960).

Der Milliardär Armand Hammer (Occidental Petroleum) galt jahrzehntelang als Einflussagent der Sowjets. Aber auch Ford und die Rockefellers hatten vielfältige profitable Kontakte in diese Richtung.

Die politische Karriere von Joseph P. Kennedy und seiner Dynastie begann, als Roosevelt 1934 ausgerechnet ihn zum Chef der SEC ernannte, jemanden, der seine Millionen mit Alkoholschmuggel während der Prohibition, in Hollywood und gemeinsam mit der Mafia gemacht hatte.

Edwin Blacks IBM and the Holocaust: The Strategic Alliance Between Nazi Germany and America's Most Powerful Corporation (2001) arbeitet auf solide Weise auf, was IBM alles tat, um die Nazis mit Lochkarten und Rechnern zu versorgen.

Der Bechtel-Konzern ist seit langem eine Spinne im globalen Netz der amerikanischen Machteliten. John McCone, Präsident der Firma Bechtel-McCone, machte während des Krieges aus einer persönlichen Investition von 100,000 Dollar die damals enorme Summe von 44 Millionen Dollar; er war Deputy Secretary of Defense, Under Secretary of the Air Force, Chef der Atomic Energy Commission und CIA Direktor. Nach seinem Ausscheiden wurde die Bechtel Corporation das führende weltweit operierende Bauunternehmen (Atomkraftwerke, Staudämme usw.) mit Projekten auf den Philippinen, in Ägypten, Algerien, Indonesien, der UdSSR, Brasilien, Saudiarabien. Zwei wichtige Kabinettsmitglieder von Ronald Reagan, George Shultz und Caspar Weinberger, kamen von Bechtel.

Ein bemerkenswerter Historiker der anglo-amerikanischen Machteliten ist Carroll Quigley, den Bill Clinton zu seinen wichtigsten Lehrern zählt. In seinem Hauptwerk, Tragedy and Hope (1966), betont Quigley die Relevanz von Geheimgeschichte, das Wirken von mächtigen Persönlichkeiten hinter den Kulissen, die überragende Bedeutung internationaler Finanz- und Bankgruppen und vor allem das Zusammenspiel von anglo-amerikanischen Eliten bei der Gestaltung der Welt.

Die Gruppe der Verteidigungsintellektuellen, die sich im Gefolge der Atombombe und des Abschreckungsszenarios bildete, tritt in den späten vierziger Jahren in den engsten Beraterkreis der amerikanischen Machtelite (vgl. z.B. Fred Kaplan, The Wizards of Armageddon).

Konzepte des Guerillakriegs, der Counterinsurgency, des Counterterrorism entstehen bereits in den vierziger Jahren (vgl. z.B. Michael McClintock, Instruments of Statecraft).

usw.



Die Fünfziger: Franchising the American Way of Life

Ein 'Franchise-System' ist eine Absatzorganisation, in der ein Franchise-Geber die Planung, Durchführung und Kontrolle eines bestimmten Betriebstyps vornimmt und in der meist mehrere Franchise-Nehmer unter der Leitung, Anleitung und unter dem Namen und Erscheinungsbild (Logo) des Franchise-Gebers den Vertrieb eines Produktes, eines Sortiments und/oder einer Dienstleistung übernehmen und den Betrieb selbständig führen.

In den Fünfzigern formt sich der American Way of Life zu einem exportfähigen Gesamtkonzept. Es ist die Zeit eines amerikanischen Wirtschaftswunders mit globaler Ausstrahlungskraft. Überall auf der Welt wird nachgeahmt, was hier in diesen Jahren 'erfunden' wird: Die Massenproduktion von erschwinglichen Automobilen und die dazugehörigen Straßennetze, die Massenproduktion von bezahlbaren Häusern (William Levitt) und die dadurch entstehenden endlosen Vorstädte oder Suburbs, ein Massenangebot an günstigen Einkaufsmöglichkeiten (supermarkets), von billigen Restaurants (fast food) und von günstigen Herbergen (motels) für die neue Mobilität. Ähnliches gilt für die Kulturangebote, die sich auf Massenkonsum einstellen, ob es um Schallplatten (insbesondere die von Elvis Presley), Comics oder um die Filme aus Hollywood geht. Das Fernsehen etabliert sich, und es gibt die ersten Quiz-Shows, Talkshows, Serien - alles durchsetzt mit Werbung. Natürlich gehört zu den 'sozialen Erfindungen' der Fifties auch die Pille, mit enormen Auswirkungen auf das Verhalten der jungen Leute und auf die Jugendkultur insgesamt. Und nicht zu vergessen: auf den Country Fairs des Landes zieht ein junger Mann namens Charles Merrill umher und verkündet die Shareholder-Gesellschaft, den Aktienbesitz für die Massen.

Dahinter steht die neue Welt der staatlichen und industriellen Großorganisationen und der neuen Angestellten (verewigt in Sloan Wilsons Roman The Man in the Grey Flannel Suit). Immer mehr Menschen arbeiten in Büros, die Dienstleistungsgesellschaft nimmt ihren Lauf. Die Werbeindustrie, die Kulturindustrie, die Versicherungsindustrie - und wie diese neuen 'Industrien' alle heißen - nehmen viele der jungen, ehrgeizigen, aus dem Krieg zurückkehrenden Männer auf. In dieser schönen neuen Welt entstehen neue Hierarchien, white-collar pyramids, welche die Lebensstile und Lebensmilieus der Angestellten bestimmen. In den Büros finden sich raketengleiche 'Aufsteiger' in das Top-Management neben den 'fröhlichen Robotern' der unteren Etagen. In den Großstädten bilden sich neue Formen metropolitanen und suburbanen Lebens. 'Statuspanik' diktiert das Verhalten. Anonyme Organisationsmacht, die Manipulation der öffentlichen Meinung, die Relativierung alter und neuer Ideologien im Milieu der Massenmedien fördern die Orientierungslosigkeit und Entfremdungserscheinungen.

Im Gefolge dieser ökonomischen und sozialen Neuerungen entstehen vielfältige Sub- bzw. Funktionseliten - in den Massenmedien, der Werbebranche, im Managementtraining, im Sport, im Lifestyle generell. Zum Teil gehen sie Verbindungen mit den Machteliten ein. Auf jeden Fall aber spielen sie - unter der Fahne des Liberalismus und Pluralismus - wichtige neue Rollen in der globalen Ausdehnung des amerikanischen Einflusses. Durch sie wird die Botschaft um die Welt getragen, dass es für jedes private, individuelle Problem eine massenproduzierte Lösung gibt. Vor allem aber verbreiten die Gurus des positiven Denkens, dass Freiheit nur durch die rigorose Anwendung individueller Eigentumsrechte errungen werden kann (the principle of freedom through property rights). Und unter dieser Sprachregelung kann sich die amerikanische Machtelite dann auch problemlos mit den neuen Führungs- und Führergestalten abfinden, so bunt das Völkchen sonst ist. »Der Grundfehler in diesem pluralistischen Himmel besteht darin, dass die Himmelschöre mit einem starken Oberklassen-Akzent« (Elmer E. Schattschneider)



Mögliche Forschungsthemen:

David Halberstams Buch The Fifties bietet ein unübertroffenes Panorama dieses Jahrzehnts. Seine Bücher über die intellektuelle Elite um Präsident Kennedy (The Best and the Brightest) und über die amerikanischen Medienmächtigen (The Powers That Be) entwerfen Elitenkonstellationen, die ihren Ursprung in den Fünfzigern haben.

C. Wright Mills ist mit seinem Buch The Power Elite (1956) selbst ein Beispiel für das Verhältnis der Intellektuellen seiner Zeit zu den herrschenden Kreisen - ein Porträt.

Einige der 'neuen' Builders&Titans: David Sarnoff legte mit seinem Radio-Imperium RCA die Grundlagen des massenmedialen Goldrauschs, Lucky Luciano war der erste Gangster-Milliardär, Leo Burnett brachte Werbeindustrie und Fernsehen zusammen usw.

Während des Koreakriegs kommt es zum Konflikt zwischen dem 'politischen General' Douglas McArthur und Präsident Truman. Trotz McArthurs Abschied nimmt die Macht des Militär-Establishments so zu, dass Eisenhower 1960 vor dem Militär-Industrie-Komplex warnt.

1952/53 veröffentlicht das Cox Committee des US-Senats einen Bericht über Macht und Einfluß der großen Stiftungen, der Foundations.

1954 'übernehmen' der Konzern United Fruit und die CIA Guatemala. United Fruit ist auch die Geschichte des corporate raider Eli Black, der die Firma später kontrolliert, ruiniert und 1975 Selbstmord begeht.

Die Rolle der Banker verändert sich mit Bretton Woods, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfond, dem Ende des Goldstandards ...

usw.



Die Sechziger: Pentagon Capitalism und Protestkultur

Kein Jahrzehnt sieht heftigere Konflikte und Widersprüche innerhalb des Establishments selbst. Die Kulturindustrie hat die Mittel für eine Kulturrevolution und für eine soziale und politische Kritik am Bestehenden bereitgestellt. Mit der Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten (Martin Luther King Jr.) werden auch ganz 'oben' Erinnerungen an die Ursachen des Bürgerkriegs hundert Jahre früher geweckt. Zugleich betreiben andere Kräfte aus dem Kern der Machteliten eine brutale imperialistische Eroberungspolitik in Vietnam. Mit Impulsen aus den Elite-Universitäten wird 1962 Students for a Democratic Society (SDS) gegründet, 1964 gibt es erstmals eine liberale demokratische Kongreßmehrheit, die eine progressive Gesetzgebung (civil rights bills, Medicare, die Programme Great Society und War on Poverty) auf den Weg bringt. Die Bürgerrechtsbewegung der Südstaaten erhält große Unterstützung aus dem Norden: finanziell z.B. von der Ford Foundation, dem Rockefeller Brothers Fund, der Field Foundation und dem Stern Family Fund; moralisch von den wichtigsten politischen Magazinen, Zeitungen und Fernsehnetzen.

Mit der Hippie-Bewegung entfaltet sich ein Protest gegen die Konsumkultur. Die Motive des Verschenkens, der Liebe, der Flower Power, des Follow the Free werden in der Cyberkultur der Neunziger auf seltsame Weise wieder auftauchen. Diese Motive führen Grundmuster des Protestes ein, denen sich Anti-Establishment-Bewegungen bis heute kaum oder nur um den Preis des Rückfalls in die Barbarei entziehen können. Mit anderen Worten, hier entstehen Rollenmodelle für globale Gegeneliten, die gegenwärtig bei den Globalisierungskritikern wieder aufleben.

Es ist die Zeit eines fast utopischen Optimismus (Galbraiths The Affluent Society, Michael Harringtons The Other America), die Zahl der Milliardäre schrumpft, man müsse, glauben viele Amerikaner, nur ein paar archaische politische und ökonomische Arrangements beseitigen, damit alle Welt - tendenziell auch hinter dem Eisernen Vorhang - an den Früchten teilhaben kann. Kennedy war ermordet worden. Aber vielleicht war das der Preis. Ein an Präsident Johnson gerichtetes Manifest von Sozialwissenschaftlern, Gewerkschaftern, Unternehmern verkündet The Triple Revolution: Eine cybernation revolution, die ein System fast unbegrenzter Produktivität bei immer geringerem Anteil an menschlicher Arbeit verspricht; eine weaponry revolution, die Krieg als Methode der Lösung internationaler Konflikte eliminiert; eine human rights revolution, die den Anspruch auf universale Anwendung der vollen Menschenrechte begründet.

Doch die zweite Hälfte der Sechziger beginnt mit den Rassenunruhen in Watts und der Eskalation des Vietnamkriegs. Vor allem dieser Krieg widerspricht den amerikanischen Idealen, die gerade zur Exportreife entwickelt worden waren. Die Johnson-Administration erscheint als der Inbegriff der Unehrlichkeit. Die militärisch-geopolitischen Aktivitäten reflektieren ganz offensichtlich die wahren Prioritäten der amerikanischen Konzerne und Machteliten. So versteht sich der SDS im Jahre 1969 als die globale Speerspitze einer gewaltsamen Revolution gegen die USA. Die Pax Americana ist tot.

Dennoch sind es nicht die gewaltsamen Anti-Kriegs- und Black Power-Aktionen, die weltweit weiterwirken, sondern die damals begründeten Umwelt-, Konsumenten- und Frauenbewegungen. Und auch die Geld- und Machteliten hinterlässt dieses Jahrzehnt weltläufiger - more sophisticated - denn je.



Mögliche Forschungsthemen:

John F. Kennedy und seine Ermordung sind Fokus des umfangreichsten (und verrücktesten) Power Structure Research der Geschichte. Aus den Dünsten der Gerüchteküche steigen gleichwohl aufschlussreiche Konturen auf (vgl. Halberstams The Best and the Brightest und Seymour Hershs The Dark Side of Camelot).

Die DuPont Dynastie, die reichste Familie Amerikas, führt ein weltweites Netzwerk von Unternehmen von Delaware aus, einem Bundesstaat, den sie vollständig kontrolliert.

In den Sechzigern beginnen in den USA die sogenannten Corporate Campaigns, Angriffe auf einzelne Konzerne und ihre 'Missetaten' (vgl. Jarol B. Mannheim, The Death of a Thousand Cuts: Corporate Campaigns and the Attack on the Corporation, 2001).

Führende Vertreter des Power Structure Research dieser Jahre sind William Domhoff (The Higher Circles, Who Rules America?) und Ferdinand Lundberg (The Rich and the Superrich).

McGeorge Bundy (Harvard Dean, National Security Berater Kennedys und Johnsons, Chef der Ford Foundation) und William Bundy (CIA, Chefberater in Pentagon und State Department während des Vietnam Kriegs, Herausgeber der Zeitschrift Foreign Affairs des CFR) waren typische Vertreter der 'herrschenden Klasse'.

Die schillernde Figur des Milliardärs Howard Hughes spielte eine ernstzunehmende Außenseiterrolle in der amerikanischen Politik, z.B. finanzierte er Nixon und Hubert Humphrey.

Das Thema der Korruption in der amerikanischen Wirtschaft wird erstmals breit diskutiert (vgl. Morton Mintz und Jerry Cohen, America, Inc.: Who Owns and Operates the United States), einschließlich der Rolle großer Rechtsanwaltsfirmen (vgl. Joseph Goulden, The Superlawyers: The Small and Powerful World of the Great Washington Law Firms).

Ein regionaler Bruch zwischen den Eliten des 'nordöstlichen' Establishments und des Southern Rim entsteht, deutlich nicht zuletzt an der Haltung zum Vietnamkrieg.

Mit dem Vietnamkrieg wird eine globale Strategie sichtbar, die auch bei Rückschlägen nicht auf militärische Mittel verzichten wird. Das hatten schon die von Daniel Ellsberg veröffentlichten Pentagon Papers ergeben. »Beweise deuten darauf hin, dass unsere Konzerne und Regierungsbehörden zutiefst involviert sind, wenn es um die Lieferung von repressiven Technologien und Techniken an einige der autoritärsten Regime der Welt geht.« (Michael T. Klare, War Without End: American Planning for the Next Vietnams, 1972)

Das Militär-Establishment wird intensiv ausgeleuchtet (Inside the Pentagon, A History of the Joint Chiefs of Staff, Interarms and the Arms Trade, The War Profiteers etc.).

usw.



Die Siebziger: Krise, Umbau und Aufbruch in die Globalisierung

In den Siebzigern, so scheint es, versucht die Geldelite der USA nach all dem Durcheinander der Sechziger die Zügel wieder anzuziehen. Die Siebziger sind ein Schlüsseljahrzehnt. Die Spitzen der Konzerne, der Bürokratien, des Militärs und der Politik knüpfen neue Machtgeflechte. Schon in den Sechzigern ist die Rede vom National Security State, vom American Fascist State, vom Pentagon Capitalism usw. Was davon stimmt, haben auch die Investigationen um die Kennedy-Morde kaum aufgedeckt. Eine Feudalisierung der amerikanischen Gesellschaft jedenfalls ist festzustellen. Um bestimmte Milliardärsgruppen gibt es 'Höfe', neo-feudale Strukturen, die weit über das hinausgehen, was einst die Robber Barons, die Rockefellers, Carnegies, J.P. Morgans und Fords sich an feudalistischem Gebaren erlaubten.

Als es 1969 vom Mond her schallt The Eagle Has Landed, hat Amerika andere Sorgen. Die Loyalität und Zustimmung der Öffentlichkeit zum politischen System erreicht einen Tiefpunkt, 40 Prozent der white collar worker, 66 Prozent der blue collar worker haben laut Umfragen kein Vertrauen mehr in die Regierung. Wir haben Watergate, den Sturz Salvador Allendes in Chile, die Vietnam-Niederlage. Wir haben Jimmy Carter, eine oft unterschätzte Figur. Es ist nicht nur ein Erdrutsch, sondern fast ein Putsch, mit dem Ronald Reagan am Ende des Jahrzehnts Präsident wird. Das Präsidentenamt hat an Bedeutung dramatisch verloren (vgl. Ferguson u.a. 1981).

Die Geld- und Machteliten geben sich auch als gute Hirten. Neben die Kalte Kriegs-Strategie tritt eine Entspannungs-Strategie. Die Konflikte zwischen China und der Sowjetunion erlauben eine Annäherung an China. Zugleich fliegen auf einmal, trotz aller Konfrontation, Amerikaner und Sowjets gemeinsam in den Weltraum (Apollo-Soyuz-Programm). 1972 wird der ABM-Vertrag abgeschlossen. Technisch-militärische Eliten überall auf der Welt (auch in der Sowjetunion) werden von den Amerikanern 'eingekauft'.

Die Bereinigung des politischen Systems nimmt seltsame, widersprüchliche Formen an, zum Beispiel im House Committee on Impeachment des armen Richard Nixon (der so viel weniger Dreck am Stecken hatte als Bush Junior schon jetzt). Nichts über Nixons Beziehungen zu mächtigen Konzernbossen kommt zur Sprache. »The word was out: get rid of Nixon, but keep the systemPräsident Ford amnestiert Nixon, Nixons engster Mitarbeiter Alexander Haig wird militärischer NATO-Chef. Ein bisschen mehr kommt heraus in Untersuchungsausschüssen über die CIA: LSD-Experimente in den Fünfzigern, Mordversuche an Castro in den Sechzigern, Henry Kissingers 'Destabilisierung' der Allende-Regierung. Das Church Committee des Kongresses (1976) deckt auf, dass die CIA unter größter Geheimhaltung Tausende von amerikanischen Hochschulangehörigen (Administratoren, Fakultätsmitglieder, Lehrassistenten und graduierte Studenten) aus über 100 Colleges, Universitäten und anderen Institutionen angeheuert hat. Sie geben Hinweise, ermöglichen gelegentlich Anwerbegespräche und schreiben Bücher und Artikel, die im Ausland für Propagandazwecke verwendet werden können.

Die Trilaterale Kommission, 1973 von David Rockefeller und Zbigniew Brzezinski gegründet, kümmert sich um das Problem der Regierbarkeit von Demokratien. Samuel P. Huntington u.a. (1975) schreiben in einer Denkschrift, dass der demokratische Aufbruch der Sechziger letztlich eine Herausforderung des bestehenden öffentlichen und privaten Autoritätssystems war. »Denn die USA wurden nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch von einem System regiert, das aus dem Präsidenten bestand, unterstützt von Schlüsselfiguren und Gruppen aus der Exekutive, aus den Ministerialbürokratien und dem Kongress und vor allem aus den bedeutenderen Unternehmen, Banken, Rechtsanwaltskanzleien, Stiftungen und Medien - eben durch das 'Establishment' des privaten Sektors.« (Huntington u.a. 1975, 17) Howard Zinn kommentiert: »This was probably the frankest statement ever made by an Establishment adviser.« (Zinn 1980) Huntingtons Empfehlung lautet, dem democratic distemper (demokratischen Unmut) der Sechziger und Siebziger eine stabilere und unsichtbarere Herrschaftsstruktur entgegenzusetzen, ein Hidden Government, vielleicht ein Hidden World Government.

In erster Linie aber versteht sich die Trilaterale Kommission als eine Agentur zur Herstellung jener internationalen Verbindungen, die für eine multinationale Globalökonomie unter amerikanischer Hegemonie unabdingbar sind. Zunächst einmal bringt sie die 'Freunde' unter den Dreispitz. Sie kommen aus den höchsten Kreisen des Geschäftslebens, der Politik und der Medien in Westeuropa, Japan und den Vereinigten Staaten (Chase Manhattan, Lehman Brothers, Bank of America, Banque de Paris, Lloyd's of London, Bank of Tokyo; Öl-, Stahl-, Automobil-, Luftfahrt- und elektronische Industrien; Time Magazine, Washington Post, Columbia Broadcasting System, Die Zeit, Japan Times, The Economist of London, usw.). In den Achtzigern wird der nächste Schritt die Kooptation von Eliten aus weniger naheliegenden Regionen und Bereichen sein.



Mögliche Forschungsthemen:

Henry Kissinger ist aus vielen Gründen, auch wegen seines Einflusses auf die deutsche politische Klasse (bis hin zu Joschka Fischer), eine zentrale Figur. Als Akteur unter Nixon hat er Fragwürdiges in Indochina, Bangladesh, Chile, Zypern und Griechenland zu verantworten (vgl. Seymour Hersh, The Price of Power, 1983; Christopher Hitchens, The Trial of Henry Kissinger, 2001).

Die 'globale Reichweite' der US-Konzerne (vgl. Richard Barnet und Ronald Mueller, Global Reach, The Power of the Multinational Corporation, 1974) und schließlich von 'imperialen Konzernen' wie Bertelsmann, Citibank, Ford, Philip Morris und Sony (vgl. Barnet und John Cavanagh, Global Dreams: Imperial Corporations and the New World Order, 1994) wird zum Thema.

Rockwell International, wo die Geschäftsidee die Wissenschaft vom Krieg ist; die sieben öligen Schwestern: Exxon, Gulf, Texaco, Mobil, Socal, BP und Shell; International Telephone and Telegraph (ITT) schützt durch Bestechung seine Interessen in Allendes Chile. Später heißt es: »George Bush (Sr.) hat tatsächlich eine Vision - die eines Planeten, organisiert von Konzernen wie ITT und regiert von Männern wie dem früheren ITT Chef Harold Geneen.« (Anthony Sampson, The Sovereign State of ITT); in der gleichen Liga operiert General Electric.

Eine wenig bekannte Nixon-Rede aus dem Jahre 1969 leitet eine neue Ära im amerikanischen Waffenexportgeschäft ein. Waren es zu jenem Zeitpunkt noch $2 Mrd. p.a., sind es Mitte der Siebziger $17 Mrd., einschließlich der Bewaffnung der chilenischen Junta, des Schahs von Persien. Später kommen u.a. die Mujahhedin in Afghanistan und der Irak hinzu. Schon 1993 liefern die USA Waffen im Werte von über $31 Mrd. in 140 Länder.

So wird der Waffenhändler Adnan Kashoggi Ende der Siebziger der reichste Mann der Welt.

Kaum aufgearbeitet ist im Zusammenhang mit dem 'Waffen für Alle'-Programm die Kooptation technisch-wissenschaftlicher Eliten aus (militärischen) Forschungs- und Entwicklungsprogrammen überall auf der Welt. Auch das Apollo-Soyuz-Programm hat diesen Aspekt. Seit den frühen Siebzigern gibt es einen geheimen Austausch zwischen amerikanischen und sowjetischen Wissenschaftlern aus den jeweiligen Rüstungsindustrien.

Think Tanks, Denkfabriken, werden in den Siebzigern ein politischer Faktor. In der Reagan-Ära liefern diese Institute des 'privaten Sektors' die entscheidenden Anstöße für die politischen Planungen des 'öffentlichen Sektors'. Finanziert werden sie von Konzernen und konservativen Multimillionären. Sie sind das Rückgrat der sogenannten Neuen Rechten. Die Heritage Foundation ist am bekanntesten; zu den älteren gehört das American Enterprise Institute.

usw.



Die Achtziger: Casting für das Imperium

In den Achtzigern gerät die Strategie der amerikanischen Geld- und Machteliten, ihresgleichen weltweit zu kooptieren, zum Triumph. Ein großangelegtes Casting für das Stück Die einzige Weltmacht (Brzezinski) beginnt. Nicht nur, dass die Prinzen des saudi-arabischen Königshauses in Harvard studieren. Auch der Aufstieg des Michail Gorbatschow aus einem Heer globalistisch angehauchter Ostblock-Karrieristen ist ein Ergebnis dieser Anstrengungen. Viele Haupt- und Nebendarsteller folgen. Die New York- und Washington-Besuche des whisky-seligen Boris Jelzin seit Mitte der Achtziger sind legendär; weniger bekannt sind die frühen Tête-à-Têtes des Joschka Fischer mit Henry Kissinger.

Diese Kooptationswelle ist keineswegs zentral gesteuert, sondern das Ergebnis einer jahrzehntelang entwickelten Leitqualität amerikanischer Massenkultur sowie der geopolitischen Kompetenz amerikanischer Manager, Militärs und Finanziers. Das ganze Ausmaß hegemonialer Erfahrung kommt zum Tragen. Insofern ist dies auch die Zeit, in welcher die UNO an Bedeutung für die USA verliert. Andererseits wachsen Zahl und Vielfalt der Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Darunter sind viele, die der Steuerung des Globalisierungsprozesses von ganz oben dienen.



Der hier beschriebene Kooptationsprozess lässt sich als ein Ineinandergreifen verschiedener ‘nationaler Ringburgen vorstellen, wobei die sekundären Machteliten (Konzernmanager, Politiker, Experten) sozusagen die Initialkontakte herstellen.



Das World Economic Forum ist ein Beispiel. Auch die sogenannte Systemauseinandersetzung hat sich längst von der nationalstaatlichen Ebene in die grauen Zonen gesellschaftlicher Destabilisierung verlagert. Naturalisierte, milliardenschwere Privatmenschen wie George Soros können da mehr ausrichten als die CIA.

Die Kooptation von Eliten weltweit, vor allem im Südgürtel, wird durch finanzpolitische Einwirkungen auf die Wirtschaftsstruktur dieser Länder erleichtert. Für die Reagan-Leute ist die Weltbank, damals schon mit einem jährlichen Budget von 12 Mrd. Dollar und 6000 Mitarbeitern, das zentrale außenpolitische Machtinstrument. »Von den 70 Dritte Welt Ländern, die in den Achtzigern bei IMF und Weltbank Programme beantragen, verlangen die Washingtoner Gutachter harte Stabilisierungsmaßnahmen, strukturelle Anpassung und letztlich Schocktherapien. Das allgemeine Ziel ist es, die staatlichen Strukturen der Dritten Welt als Agenten wirtschaftlicher Entwicklung auszuschalten.« (Bello 1999) Damit wird, um es politisch auszudrücken, der nationalstaatliche Zusammenhalt der ausländischen Machteliten torpediert. Sie können dann, nach dem Prinzip 'Teile und Herrsche', einzeln als Wirtschaftseliten, Militäreliten, Kultureliten usw. in den hegemonialen Dunstkreis der USA gezogen werden.

Die acht Jahre Ronald Reagans und die Bush-Vater-Präsidentschaft kulminieren in weitgehend unaufgeklärten Skandalen wie der Iran-Contra-Affäre, dem Fall Manuel Noriega, dem Finanzskandal um die Savings&Loan-Banken (schädlicher für viele kleine Sparer als die Enron-Pleite), den Waffenlieferungen an Saddam Hussein vor 1991. Eine Untersuchung von hundert Spitzenleuten in der Reagan-Administration ergibt, dass ein Viertel von ihnen Multimillionäre sind. Zeichen für das Wirken eines Hidden Government - unter Bushs Formel einer New World Order - gibt es im Dreieck von Skulls&Bones (Geheimorden an der Yale University), dem Council on Foreign Relations und der Freimaurerei. Aber nicht nur dort. Reagan verdoppelt den Pentagon-Etat zwischen 1981 und 1985, darunter das sogenannte Black Budget, das unter Bush sogar auf 25 Prozent des Pentagon-Etats ansteigt. Diese geheime schwarze Superkasse stammt noch aus Zeiten des Manhattan Projekts, des Baus der ersten Atombombe. Aus ihr finanziert sich eine Parallelregierung, die über Militäreinheiten außerhalb der regulären Befehlsstrukturen verfügt und auch mit dem Star Wars Projekt höchst undurchsichtige Ziele verfolgt. »Das Black Budget ist ein Mutanten-Chromosom im politischen Körper der USA.« (Weiner 1991; vgl. auch Knelman 1987, Brownstein u.a. 1982, Sutton 1986)

Zbigniew Brzezinski ist einer der nicht wenigen diensteifrigen Experten, die Vorschläge für die geopolitische Nutzung dieser Ressourcen machen. »Er überprüft die wichtigsten Staaten der Reihe nach darauf hin, wer sich zum Gegner der US-Dominanz aufwerfen könnte. Es werden Ansätze gesucht, wie diese potentiellen Gegner geschwächt werden können - er sieht das Ganze als Schachspiel, in dem die Hauptfiguren als Staaten gegeneinander gesetzt werden und innerhalb der Staaten oft ethnische Minderheiten als Bauern Verwendung finden. Man fördert die Scharfmacher unter den Führern von Minderheiten, desavouiert die Friedfertigen, schürt die Leidenschaften, vermittelt Waffen, finanziert über Drogen. Sollte die jeweilige Zentralregierung sich dann gezwungen sehen, zur Erhaltung des Landfriedens etwas robuster vorzugehen, folgt die öffentliche Anklage wegen Verletzung der Menschenrechte. Brzezinski ist wie besessen von der Frage nach der Beherrschung des eurasischen Raums zwischen Atlantik und Pazifik, für ihn der Schlüssel zur globalen Dominanz.« [3]

Das Casting von Globalisierungsdarstellern, die Kooptation von Eliten und immer geschicktere Formen des Teilens und Herrschens spielen auch beim Fall des Eisernen Vorhangs, beim Ende der deutschen Teilung eine Rolle. Scharen von amerikanischen Beratern sind an allen wesentlichen 'Treuhand'-Operationen im ehemaligen Ostblock beteiligt. Hier müssen die Achtziger und Neunziger zusammengesehen werden. Nach den russischen Präsidentschaftswahlen 1996, die Boris Jelzin knapp gewinnt, schreibt Time Magazine: »Die Demokratie triumphiert - und mit ihr kommen die Werkzeuge moderner Wahlkampagnen, einschließlich der trickery und slickery, die Amerikaner so gut beherrschen.« [4] (Titelgeschichte Rescueing Boris) Eine Gruppe von amerikanischen Beratern wird eingeflogen. 250,000 Dollar Honorar und unbegrenzte Mittel für Befragungsaktionen, Fokusgruppen und negative Werbung werfen die Wahl herum. Noch einmal kann mit der 'besten Besetzung' gespielt werden.



Mögliche Forschungsthemen:

Neun Konzernbosse der Zeit: David Roderick (U.S. Steel), Roger Smith (GM), Paul Oreffice (Dow Chemical), Felix Rohatyn (Investmentbanker), Charles Walker (Lobbyist), Whitney MacMillan (Cargill), Thomas Jones (Northrop), William McGowan (MCI), William Norris (Control Data). (Vgl. u.a. Ralph Nader, The Big Boys, 1986)

»Philanthropie in Amerika ist ein 'System der Großzügigkeit', durch welches die Reichen soziale Kontrolle ausüben und sich selbst am meisten helfen.« (Teresa Odendahl, Charity Begins at Home: Generosity and and Self-Interest Among the Philanthropic Elite, 1990)

Lobbyisten wie Robert Keith Gray, specials interests, ausländische Einflussagenten, Verbindungen zum organisierten Verbrechen, public-private-partnerships aller Art prägen die politische Kultur Washingtons (vgl. Susan Trento, The Power House. 1992; Lawrence Haas, The Washington Almanac, 1992; Jeffrey Birnbaum, The Lobbyists, 1992; Pat Choate, Agents of Influence, 1991).

Missmanagement und Betrug im Pentagon: »In anderen Bananenrepubliken kommt das Militär durch einen plötzliche Coup und die Einrichtung einer Junta an die Macht. Hier ist das anders. Amerika funktioniert durch Geld. Das Militär hat es zu ungeheurer ökonomischer Macht einfach durch Aneignung eines riesigen Teils der öffentlichen Einkünfte gebracht.« (Ernest Fitzgerald, The Pentagonists, 1989) Dazu eine Fallstudie von General Dynamics (Jacob Goodwin, Brotherhood of Arms, 1985).

Reagans Star Wars: 1982 verschaffen der 'Bier Baron' Joseph Coors und andere Kontaktleute aus der Heritage Foundation dem Atomphysiker Edward Teller Zugang zu Präsident Reagan. Der glaubt, Tellers Star Wars-Projekt würde Amerika ein undurchdringliches, das ganze Land überdachendes 'Astrodom' bescheren (William Broad, Star Warriors, 1985, ders., Teller's War: The Top Secret Story behind the Star Wars Deception, 1992; Frances Fitzgerald, Way Out There in the Blue, 2000).

usw.



Die Neunziger: Der geteilte Cyberspace

Der Cyberspace ist die bislang größte Herausforderung aller Geld- und Machteliten dieser Welt - der ungeteilte Cyberspace wohlgemerkt. Zum zweiten Mal läuft in den USA eine dort entstandene, hegemonial eingebundene Kulturrevolution aus dem Ruder - in den Sechzigern die Bürgerrechtsbewegung, heute die digitale Revolution. Als die Kommunikationsströme der vernetzten PCs die New Economy anheizten, hieß es, die neuen Technologien würden alle im Herkömmlichen verharrenden Unternehmen in den Abgrund reißen (Clayton M. Christensen), inzwischen reißen die im Herkömmlichen verharrenden Unternehmen die New Economy in den Abgrund. Zur amerikanischen Geldelite war eine ganze Kohorte von jeanstragenden Milliardären mit oft abstrusen - politischen und anderen - Ideen gestoßen. Jetzt besteht fast schon die Tendenz, sie alle, selbst Bill Gates, zu Cyber-Terroristen zu stempeln. Die 'geschwätzigen Hype-Propheten des Information Highway' (Arthur Kroker) jedenfalls stehen im Abseits. Viele Versprechen der New Economy haben sich als Bedrohung der bestehenden Machtverhältnisse erwiesen. Das berühmte Cluetrain Manifesto einer Gruppe führender amerikanischer Werbeleute hatte das klarsichtig vorausgesagt. Das Internet wird fragmentiert. Wenn die Mächtigen der USA heute vom Cyberspace reden, dann von cyber warfare, von Kontrolle, Überwachung, intrusion - und natürlich vom Geldmachen.

Das alles ist aber nur die Oberfläche, wo der bornierte 'Vater des Internet' Al Gore vom bornierten, jeglicher Intellektualität abholden 'Sohn der amerikanischen Ölmafia' um die Präsidentschaft betrogen wurde. Die neue Technologie ist da, sie breitet sich aus. Der Cyberspace, so geteilt und fragmentiert er auch ist, stellt den backbone aller amerikanischen hegemonialen Aktivitäten dar. Insofern stößt 'die dritte große neuartige und weltweite Expansion des Kapitalismus' (Fredric Jameson) tatsächlich in den Cyberspace, in nicht-euklidische Hyperräume vor.

Zunächst einmal ist es die Finanzwelt, die über Computernetze, deren Fäden in den USA zusammenlaufen, täglich in millionenfachen Transaktionen sekundenschnell mehr Geld bewegt als alle Zentralbanken zusammen in ihren Reserven haben. Dieses Netzwerk lässt sich nur unvollständig darstellen, denn seine Struktur und die wichtigsten realen Knotenpunkte sind geheim. Es ist zudem extrem flexibel, wie die schnelle 'Reparatur' in den Tagen nach dem 11. September 2001 zeigte. Seine Aktivitäten haben sich seit den Siebzigern fast vollständig von produktiven Investitionsvorgängen losgelöst. Mit dem Internet hat die Finanzwelt eine neue Stufe ihres Wirkens erreicht. Hier agieren auch Newcomer - ein komplexes System ineinander greifender Hände, deren Besitzer nur im Falle von Skandalen einen Namen, meistens einen amerikanischen, bekommen.

Und dann ist es der Warenkosmos der Kulturindustrie, der durch die Netze zu einer neuartigen Gewalt geworden ist. »AOL-Time Warner, Disney, Viacom und Sony Corp. sind nicht nur Medienkonzerne, sie sind die globalen Kontrolleure des Zugangs zum gesamten Spektrum kultureller Erfahrungen, des Tourismus, der Themenparks und Unterhaltungszentren, des Gesundheitsgeschäfts, von Mode und Cuisine, Sport und Spielen, von Musik und Film und Fernsehen, von Buchverlagen und Zeitschriften ... Dadurch, dass sie die Kommunikationskanäle kontrollieren, und dadurch, dass sie die Inhalte formen, die gefilmt, gesendet oder ins Internet platziert werden, gestalten sie die Erfahrungen von Menschen überall auf der Welt. Diese Art der überwältigenden Kontrolle menschlicher Kommunikation ist beispiellos in der Geschichte.« (Rifkin 2000a) Kein Wunder, dass die Medieneliten zu den Machteliten gestoßen sind, und umgekehrt.

Das Internet, so geteilt und fragmentiert es ist, ermöglicht also die Steuerung der Kontexte, in denen sich alle wesentlichen Vorgänge der Globalisierung, der Produktion, der Verteilung usw. abspielen. Es bringt vor allem Ökonomie und Kultur in nie geahnter Weise zusammen und auf den Nenner des Geldes. Die Kontrolle des Materiellen geht in die Kontrolle des Immateriellen über, die Herrschaft über die Bodenschätze in die Herrschaft über die Köpfe. Und es sind amerikanische Software, Programmiersprachen und Organisationen (ICANN), welche die Kommunikation des Netzes - von den harten Rechtsfragen bis zu den neuronalen Mustern der Anwender - bestimmen.

Andererseits entstehen auf dieser Grundlage neue, schwer einzuschätzende globale Gegeneliten - in Geld- und Managementangelegenheiten, in der Politik und in vielen Fragen des Sachverstands. Ein besonderer Fall sind die Digerati Kaliforniens, des Zentrums des virtuellen Kapitalismus, die ihre ursprünglichen 'Netzgemeinschaften' verlassen haben, auch die bunte Welt ihrer ersten Zeitschriften (Wired etc.), und, z.T. reich geworden, an Bord von Segelyachten der Luxusklasse Utopien und Ideologien unter Namen wie Global Business Network und The Long Boom entwerfen. Wie höfische Virtuosen schon immer, ändern diese neuen Zwischen- und Nebeneliten nicht viel am Bestehenden. Doch immerhin gelten ihnen die Hoffnungen vieler: Michael Hardts und Antonio Negris Utopie eines utopischen 'Kommunismus' ruht darauf, Teile der Open Source und Open Content Bewegungen usw. Die Digerati haben im geteilten Cyberspace auf beiden Seiten Steine im Brett und deshalb in gewisser Weise das Ganze. Eine Untersuchung dieser Gruppen würde unser Thema sprengen. Stellen wir sie uns so vor: sie stehen ein wenig abseits und machen den dominanten Geld- und Machteliten freundliche, ungeduldige oder auch zornige Zeichen.

Diesen unseren 'Hirten und Wölfen' aber - 'mittelmäßigen und skrupellosen Geistes' (Michael Moore) - ist das alles unheimlich geworden. Und so reagieren sie heute unkalkulierbar. Oder kalkulierbar mit Methoden von gestern. Sie haben Geschichte in ihrer dumpfsten Form im Kopf. The Next World Order der Bush-Sohn-Administration ist, schreibt Nicholas Lemann im New Yorker, die alte neue Weltordnung von Bush-Vater. Alles ist so grausam und blutig wie schon immer. Homo homini lupus. Der 11. September 2001 scheint sie bestätigt zu haben.



Mögliche Forschungsthemen:

Die Herren von Kabel TV, Sendesatelliten und Hollywood: z.B. Frank J. Biondi Jr, Edgar Bronfman (Sr. und Jr.), Barry Diller, Michael Eisner, Jeffrey Katzenberg, Gerald M. Levin, John C. Malone, Rupert Murdoch, Michael Ovitz, Sumner Redstone, Ted Turner usw.

Der Terror von Markennamen am Beispiel des Nike-Konzerns (vgl. Naomi Klein, No Logo, Taking Aim at the Brand Bullies).

Die 'Experten': wie Wissen manipuliert wird (Sheldon Rampton und John Stauner, Trust Us, We're Experts, 2001)

Die Public Relations Industrie: einige PR Firmen bieten Industriespionage, Infiltration von Bürgerinitiativen usw.

Charles Lewis und Bill Allison, The Cheating of America: How Tax Avoidance and Evasion by the Super Rich Are Costing the Country Billions (2001).

Bill Clinton: Mitglied der Bilderberg Group, der Trilateral Commission und des Council on Foreign Relations ...

Conspicuous Consumption (auffälliger Konsum) der Superreichen: die Explosion im Megayachtenbau; Immobilienbesitz weltweit ...

Sogenannte Non-Profit-Organisationen haben große ökonomische Macht: seit 1970 sind sie viermal schneller gewachsen als die US-Wirtschaft insgesamt. Es gibt gegenwärtig über eine Million solcher Organisationen, sie verfügen über ein Vermögen von über 1000 Milliarden Dollar und beschäftigen mehr Menschen als Bundesregierung und die Regierungen aller 50 Bundesstaaten zusammen. »The business of operating with tax exemption has become big business.« (John Hawks, For a Good Cause?, 1997)

usw.



Ground Zero: Das Imperium schlägt (nicht) zurück

»Es gibt eine tiefere Verbindung zwischen den beiden großen Schocks, denen zwei Kraftzentren des Kapitalismus, das World Trade Center und Enron, zum Opfer fielen. Wir wurden daran erinnert, wie verwundbar der Westen ist, selbst in jenen Bereichen der modernen Welt, die er dominiert.« (Flora Lewis)

Da hilft nur noch ein Imperium. Das Wort Imperium (empire) wird von immer mehr amerikanischen Intellektuellen und Politikberatern aufgegriffen. [5] Der konservative Kolumnist Charles Krauthammer schreibt: »Es ist eine Tatsache, dass seit dem Römischen Reich kein Land kulturell, ökonomisch, technologisch und militärisch so dominierend gewesen ist wie die USA heute

Diese Diskussion begann im letzten Herbst im Weekly Standard mit einem Aufsatz, 'The Case for American Empire' ('Eine Lanze für ein amerikanisches Imperium'), von Max Boot, The Wall Street Journal. Boot sprach sich für die militärische Besetzung von Afghanistan und Irak aus und begründete dies mit der stabilisierenden Wirkung, welche die Britische Herrschaft im 19. Jahrhundert in dieser Region hatte. Seitdem hat sich die Empire-Idee schnell ausgebreitet. Im Januar verkündete Charles Fairbanks, ein außenpolitischer Experte der Johns Hopkins University, Amerika sei ein 'Imperium im Entstehen' ('an empire in formation'). Im März ging Professor Paul Kennedy, Yale University, einen Schritt weiter und behauptete, dass es noch niemals ein derartiges Ungleichgewicht der Macht gegeben habe, weder während der Pax Britannica noch zu Zeiten Napoleons oder Philips des Zweiten oder Karls des Großen. Auch das Römische Reich war zwar groß, aber neben ihm und gleichzeitig existierten das Persische und das Chinesische Reich: »There is no comparison.«

Die bis dato ausführlichste Darlegung aus dem Empire-Lager stammt von Robert Kaplan: Warrior Politics: Why Leadership Demands a Pagan Ethos ('Eine Politik für Krieger: Warum Führung ein heidnisches Ethos braucht', Random House, 2001). Kaplan schlägt vor, dass die führenden Politiker der USA sich mit den antiken Chronisten beschäftigen sollten: denn historisch habe sich kaum etwas geändert. Also warum nicht vom Zweiten Punischen Krieg lernen oder von Kaiser Tiberius?

Kenner der Antike mögen sich lustig machen über die Idee, dass das demokratische Amerika viel gemeinsam habe mit dem tyrannischen Rom der Kaiser Augustus oder Nero. Aber Paul Kennedy zum Beispiel verweist auf die Tatsache, dass Amerika sich schon oft wie ein eroberndes Imperium aufgeführt hat: »Schon seit die ersten Siedler in Virginia ankamen, waren wir eine imperiale, eine erobernde NationUnd, fährt er fort, dieses imperiale Verhalten dauert an: »Die Vereinigten Staaten haben Militärstützpunkte in 40 Ländern. Beim Angriff auf Al Qaeda und die Taliban haben wir Kriegsschiffe von Großbritannien, Japan, Deutschland, Spanien und Italien aus in Bewegung gesetzt

Die 'Empire-Gelehrten' (New York Times) gestehen zu, dass Amerika heute nicht mit roher Gewalt operiert, sondern ökonomische, kulturelle und politische Mittel einsetzt. Man möchte andere Völker lieber zu Amerikanern machen als sie mit Krieg zu überziehen. »Wir sind immer noch ein attraktives Imperium«, sagt Max Boot. Und aus genau diesem Grunde müsse man sich für eine Pax Americana stark machen. Gerade in einer anarchischen Welt, mit Schurkenstaaten und terroristischen Zellen, biete eine den Globus beherrschende USA den besten Garanten für Frieden und Stabilität. »There's a positive side to empiresagt Robert Kaplan. »It's in some ways the most benign form of order.« ('Jedes Imperium hat eine positive Seite. In mancher Hinsicht ist es die wohlwollendste Form einer Ordnung.')

Ganz anders sieht Immanuel Wallerstein, Nestor der Weltsystem-Forschung und Emeritus der Yale University, die Dinge. Unter dem Titel The Eagle Has Crash Landed schreibt er: »Nur wenige Leute glauben heute, dass sich die Vereinigten Staaten im Niedergang befinden. Zu ihnen gehören die Falken in den USA, die laut für eine Politik eintreten, die diesen Niedergang verhindern soll. Dieser Glaube an das Ende der amerikanischen Hegemonie ist keine Folge der Verwundbarkeit, die mit dem 11. September 2001 sichtbar wurde. Faktisch begannen die Vereinigten Staaten schon in den Siebzigern als eine Globalmacht zu verblassen; die US-Reaktionen auf die terroristischen Angriffe beschleunigen diesen Niedergang nur. Um zu verstehen, warum die sogenannte Pax Americana sich in Luft auflöst, müssen die geopolitischen Entwicklungen des Zwanzigsten Jahrhunderts untersucht werden, insbesondere die letzten drei Dekaden. Das Ergebnis ist simpel und unausweichlich: Die gleichen ökonomischen, politischen und militärischen Faktoren, welche die US-Hegemonie einst ermöglichten, produzieren unweigerlich auch den kommenden Niedergang.« [6]



Mögliche Forschungsthemen:

Für das global operierende, vor allem weltweit in Rüstungsindustrien investierende Unternehmen Carlyle Group sind Verbindungen zwischen führenden Figuren der Republikanischen Partei - unter ihnen der ehemalige Verteidigungsminister Frank Carlucci und der ehemalige Außenminister James Baker sowie Bush-Vater - und der Familie bin Laden dokumentiert. Investigativer Journalismus deckt derzeit viele ähnliche connections auf. (Vgl. u.a. John Pilger, The New Rulers of the World; Jürgen Roth, Netzwerke des Terrors)

National Security State, Ausbau der elektronischen Kontroll- und Überwachungstechnologien, Zukunft des Internet: Akteure und Adressen ...

Der Militär-Industrie-Komplex der nächsten Jahre: Das Pentagon drängt für 2003 auf eine Erhöhung des regulären Verteidigungsetats um mindestens 20 Milliarden Dollar, ein Anstieg um sechs Prozent gegenüber dem derzeitigen Budget von 329 Milliarden Dollar. Erwartet wird eine forcierte Entwicklung der geplanten Raketenabwehr. Oben auf der Wunschliste stehen ebenfalls eine Ausweitung der Flotte unbemannter Flugzeuge sowie die Ausrüstung von Kampfeinheiten mit moderner Kommunikationstechnik. Zugleich will das Pentagon an konventionellen Rüstungsprogrammen festhalten. »Man müsse weiterhin auch in der Lage sein, die Kriege der Vergangenheit zu kämpfen.« (New York Times, Jan. 7, 2002)

usw.



Hirten und Wölfe - und wer sind die Schafe?

»Die USA wollen die Weltherrschaft.« (Eric Hobsbawm in einem Spiegel-Interview) Das kann so nicht stehen bleiben. 90 Prozent der Amerikaner wollen die Weltherrschaft nicht. In einer Epoche der Relativierung der Macht der Nationalstaaten - und der Reprivatisierung allen Gemeineigentums - handelt selbst 'die USA' nicht mehr als solche, als Nationalstaat. Und dennoch wird die Welt im Namen der USA von den Privatiers, von den Privatisierern neu verteilt. Wer einige der wichtigsten Akteure sind, ist in den voraufgehenden Kapiteln deutlicher geworden.

Michael Hardt und Antonio Negri haben in ihrem vielbesprochenen Buch Empire die strukturellen Zusammenhänge erhellt, in denen sich im Zeitalter der Globalisierung Herrschaft vollzieht. Wer von den Herrschenden spricht, darf von den Beherrschten nicht schweigen. Hardt und Negri setzen ihre Hoffnung auf Bewegungen 'von unten'. Sie sprechen von den Kräften der Selbstorganisation, die in der 'Menge', in der Multitude, im 'globalen Volk' schlummern. Sie knüpfen dabei an Erfahrungen an, die in sozialen Bewegungen und nicht zuletzt in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gemacht wurden. So ist, um im Bild unseres eigenen Buchtitels zu bleiben, auch die Frage nach den 'Schafen' zu stellen.

Durch die Klärung der Rolle der (amerikanischen) Geld- und Machteliten werden Möglichkeiten des Handelns und der Mitgestaltung seitens jener Multitude, zu der wir alle gehören, sichtbar. Es geht dabei nicht um starre Fronten oder 'Klassengegensätze', sondern zunächst um eine kluge Abwehr der 'Wölfe' und eine verständige Kooperation mit den 'Hirten'. Wie sagte vor kurzem noch, siehe oben, Al Gore? »Die Debatte über die Bestimmung Amerikas wogte immer zwischen denen, die allein aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung das Recht des Regierens beanspruchten, und denen, die an die Souveränität des Volkes glaubten.« [7]





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[1] dieser Text basiert auf einem 2001 geschriebenen Treatment für ein ‚populärwissenschaftliches’ Buch, das den TitelHirten&Wölfe. Wie die amerikanischen Geld- und Machteliten sich die Welt aufteilen’ tragen sollte. Im Sinne von Fredric Jameson’s Always Historicize! sollte es darum gehen, die Entwicklung in Jahrzehntschritten nachzuzeichnen.

[2] International Herald Tribune, April 23, 1999, 6

[3] Andreas von Bülow in konkret 12, Dez. 2001, 14

[4] „Rescuing Boris“, Time, July 15, 1996

[5] die folgenden Zitate stammen aus einem Artikel von Emily Eakin, „’It takes an Empire’, say several U.S. thinkers, The New York Times, April 2, 2002

[6] Foreign Policy, July-August 2002

[7] “The people versus the powerful”, International Herald Tribune, August 5, 2002


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